Ohne Bilderverbot keine Bildnisse
Kampagnen gegen Kunstentartung begründeten immer schon den Glauben an die Bedeutung der Künste.
a) Das neueste zum Thema: Die fundamental-islamistischen Taliban inszenieren in Afghanistan Bilderstürme gegen vorislamische Monumentalstatuen Buddhas.
Oberste Gerichte verbieten, in Klassenzimmern Bilder oder Objekte religiöser, politischer, sozialer Überzeugung ostentativ so zu präsentieren, daß vor ihnen Loyalitätsbekundungen von Schülern und Lehrern erzwungen werden können.
Der deutsche Minister Fischer gerät durch das Auftauchen einer Fotoserie über seine Demobeteiligungen in der Zeit um 1970, die als historische Fakten längst bekannt waren, in große Schwierigkeiten mit seinem amtlichen Auftrag, heutige Skins und andere Politradikale von Gewalttaten gegen Staat und Gesellschaft, Polizei und Bevölkerung durch Strafandrohung abzuhalten, da Fischers Biografie jeden Terroristen zur Nachahmung animiert: Erst blindwütig draufhauen, dann reumütig Karriere machen.
„Wer soll die Bilder aushalten?“ fragten Nato-Politiker angesichts der Fotos von „Massakern der Serben an Albanern“. Da muß man ja mit Gewalt zurückschlagen – egal, ob die Fotos originäre oder gefakete Untaten dokumentieren. Denn nur die politische Wirkung der Bilder bestimmt den Grad ihrer Realitätshaltigkeit.
Hunderttausende Rinder wurden getötet und beseitigt, als in England BSE grassierte. No problem. Seit aber Panorama-Colorfotos von riesigen Scheiterhaufen der Kadaververwertung, d.h. vom Brandopfer im eigentlichen Sinne des griechischen Begriffs Holocaust, in allen Medien präsentiert werden, bildet sich der breiteste Widerstand von Bauern, Tierschützern, Nahrungsindustriellen und Exportprämienjägern gegen „das sinnlose Hinmetzeln unschuldiger, weil gesunder Kreaturen“.
Chinesische Kalligraphie, japanisches Blumenstecken, großflächiger monochromer Wandanstrich und expressive Figuration sind die beliebtesten und erfolgreichsten Praktiken der Kunsttherapie in Kliniken und Volkshochschulen, meldet die Fachwelt.
b) Heidnische Brandopfer, platonische Ikonophobie, christliche Vorbildlichkeit und islamische Bilderstürme wurden bisher allgemein mit unterschiedlicher Identitätsstiftung durch Kulturen, Religionen und Politiken „erklärt“. Die Begründungen für diese Erklärungen waren allesamt an den Haaren herbeigezogen und dementsprechend zur Legitimation von Willkür und Terror benutzt worden; denn, und das ist nur ein Beispiel für alle Bilderkämpfer, trotz ständiger gegenteiliger Behauptung gibt es nicht einen einzigen Korantext, aus dem ein Bilderverbot zu begründen oder auch nur abzuleiten wäre.
Das islamische Bilderverbot ist, wie das jüdische, christliche oder wissenschaftliche (letzteres wurde 1927 von Rudolf Carnap in Wien erlassen) eine kontrafaktische Behauptung von Leuten, die ihre Herrschsucht und Machtgier oder intellektuelle Beschränktheit als Kulturauftrag auszuweisen gedachten.
Kultur legitimiert sich „aus unvordenklichen Zeiten“, also durch die Behauptung von uchronischer Dauer. Deshalb konstruierten besagte Machtprätendenten zu ihrer Legitimation der kulturgestützten Verbrechen eine Überlieferungsgeschichte zu besagtem Nutzen und eine Gesetzgebung resp. einen Wissenschaftskodex unbestreitbarer Frömmigkeit. Nutz und Fromm der Bilderverbote liegt in ihrer beliebigen Kontrafaktizität, die deshalb jederzeit als normativ behauptet werden kann, um Vernichtung des Konkurrenten, Raub, Zerstörung, Folter, Mord kulturell, religiös und intellektuell zu legitimieren. Das galt und gilt im Orient so gut wie im Okzident, in der Kunst so gut wie in der Wissenschaft, für die Religion so gut wie für die Politiken.
Das islamische Verbot der Abbildung beseelten Lebens, das jüdische Verbot, Gott zu verbildlichen oder das westliche Verbot, künstlerischen/wissenschaftlichen Begriffen durch Verbildlichung zur Evidenz als Realia zu verhelfen, mag man strikt auseinander zu halten bemüht sein, um sie je eigenem Weltverständnis oder religiösen Überzeugungen zuzuordnen – es wird dabei nicht mehr herauskommen als der schon lange bekannte Nachweis, daß je spezifisches Bildverständnis ausschließlich durch die Ausblendung einer der Bedeutungsdimensionen zustandekommt, die allen Zeichengefügen (ob bildlich, wortsprachlich, gestisch, mimisch oder rituell repräsentiert) durch unsere anthropologisch beschreibbare Konstitution von Natur unseres Kommunikationsvermögens aus eigen ist. Die je unterschiedlich ausgewiesenen Bilderverbote stützen sich also auf Beschränkung des Horizonts der Zeichendeutung; ihn haben Ikonologen der Warburg/Panofsky-Schule gleichermaßen wie die Symbolanalytiker oder Zeichentheoretiker von Hrabanus Maurus über Dante bis zu den Gründungsvätern der informationstheoretischen Ästhetik gleichermaßen ausgewiesen: als Einheit von materieller, symbolischer, allegorischer und anagogischer Zeichendimension; als Einheit von syntaktischer, semantischer, pragmatischer und sigmatischer Zeichendimension; als Einheit der ikonischen, indexikalischen und symbolischen Zeichendimension; als Einheit des Bildes in der Unterscheidung von Abbildung und Abgebildetem, in der Nichtidentität von Bildzeichen/Wortzeichen und außersprachlicher Realität.
Die jüdische, christliche, islamische oder kunstwissenschaftliche Ausblendung einer oder gar mehrerer dieser Zeichendimensionen in der Kommunikation begründet deren jeweiliges angebliches Abbildungs-, Bild- oder Bilder- oder Vorstellungsverbot.
Aber kehren wir vor der eigenen Haustür, also vor dem Haus der Künste. Es ist längst an der Zeit, die kommerziell oder machttechnisch gut nutzbaren Konfrontationen von moderner Kunst und traditionaler Kunst, von abstraktem Expressionismus und figurativem Expressionismus, von Tachismus und Rokoko, von Informel und Impressionismus, von Farbfeldmalerei und der Malerei der venezianischen Großmeister im 16. Jahrhundert zu verabschieden.
Wenn wir es, herausgefordert durch die kulturelle, religiöse und intellektuelle Beschränktheit der Bilderverbote, für dringlich halten müssen, mit Panofsky Ikonografie, mit Shannon Informationstheorie, mit Barthes Symbolanalytik zu betreiben, können wir nicht umhin anzuerkennen, daß die bisherigen Unterscheidungen zwischen abstrakt und konkret, zwischen gegenstandslos und figurativ völlig unerheblich sind. Daß zum Beispiel das schwarze Quadrat von Malewitsch allein schon durch seine Präsentation in der Ausstellung 0,10 (1915 in Petersburg) als Ikone gewertet werden konnte, ist bekannt. Wie aber die Ikonographie der abstrakten Kunst aussieht, wollte man kaum wissen. Als Allegorie betrachtet, besteht die Bedeutung dieses Werktyps von Malewitsch gerade darin, die bisherige konventionelle Allegorisierung mit anthropomorphen, also menschengestaltigen Formen, durch logomorphe, also zahlenförmige Gestalt ersetzt zu haben. Damit wird die konventionelle Bedeutung der Allegorie als Freiheit, Gerechtigkeit oder Industria gleichgesetzt mit dem logomorphen Ausdruck für Gleichgewichtsbalance, Konstanz der Gestaltwahrnehmung oder Deckungssymmetrie.
Das Quadrat ist keine abstraktere Figuration als die ikonische Darstellung einer Kuh. Die Repräsentation eines schwarzen Quadrats ist nicht weniger gegenständlich als die Fotografie, die Zeichnung oder Skulptur einer Kuh. Wer ein Quadrat herstellt, kann sich dafür ebenso einer gegenständlichen Vorlage bedienen wie der Zeichner einer Kuh. Wenn die Orientierung auf außerbildliche Vorlagen die natürliche Bedeutung eines ikonischen Zeichens ausmacht, dann sind Kuh und Quadrat von gleicher primärer Bedeutung. Nur die sekundäre, die kulturelle, konventionelle Bedeutung unterscheide zwischen Kuh und Quadrat. Ihr Gehalt wird unterschiedlich sein, je nachdem, ob sie in der Untersuchung der Kultur einer Epoche als Kunstwerke, Lehrmittel, Einrichtungsdekor, wissenschaftliche Illustrationen oder als Attraktoren für Handelsgüter in Gebrauch sind. Solche Werte werden in den Kulturen symbolisch repräsentiert. Der symbolische Zeichengebrauch basiert auf einer anderen Analogie oder Unterscheidung zwischen Zeichen und Bezeichnetem in der Einheit des Zeichens, als es der ikonische und der allegorisch/indexikalische Zeichengebrauch tun.
Im ikonischen Zeichengebrauch wird die Analogie zwischen sprachlichen Zeichen und außersprachlichen Gegebenheiten als Modell ausgebildet, dessen Haupttypus die Abbildung darstellt. Im indexikalischen Zeichengebrauch wird die Analogie als Verweisungszusammenhang entwickelt, wie er etwa als lexikalischer Index im Gebrauch ist. Im Symbol wird eine generalisierende Abstraktion des Allgemeinen aus dem Besonderen repräsentiert, ihr vorherrschender Typus ist die Kontexturierung.
Alle leistungsfähigen Zeichentheorien betonen, daß jede Zeichenfiguration stets auf allen drei Ebenen, der ikonischen, der indexikalischen und der symbolischen gelesen werden muß. Die Verkehrszeichen (die betontermaßen in keiner Sprache Verkehrssymbole heißen) sind z.B. sowohl als ikonische Zeichen (Fußgängerin mit Kind als weiß ausgesparte Figur auf blauem Grund), wie als indexikalisches Zeichen (Einbahnstraßenschild in Gestalt eines Pfeils), wie auch als symbolisches Zeichen (weißer Balken in einem roten Kreisfeld) vorgegeben. Die Unterscheidung der drei Zeichenfunktionen macht jede einzelne erst sinnvoll.
Die Bilderverbotsbegründer agieren wie Verkehrsteilnehmer, die sich weigern würden, andere als ikonische Verkehrszeichen zu beachten. Zu welchem Desaster eine derartige Haltung im Verkehr führen muß, ist leicht vorstellbar.
Die Desaster, die Theologen, Politiker und Philosophen durch Bilderverbote anrichten, indem sie Kommunizierende zwingen, nur noch symbolische oder indexikalische Zeichen wahrzunehmen, werden leider noch nicht im stündlichen Verkehrsfunk mitgeteilt. Wahrscheinlich haben es aber die Ayatollahs, die Goebbels und Gehlens, d.h. Priester, Politiker und Philosophen gerade auf derartige Kommunikationscrashs abgesehen wie die Geisterfahrer auf unseren Autobahnen. Sie genießen die Reaktion auf die unberechenbare Gefahr ihrer willkürlichen Regelauslegung. Und sie, wie alle Bilderverbotspraktiker, legitimieren ihr Vorgehen, wenn sie selber Opfer ihrer Willkür werden, mit der märtyrerhaften Selbsterhebung, mit der Durchsetzung des Bilderverbots den Geltungsanspruch jeglicher Zeichenfigurationen erst unleugbar begründet zu haben.