Buch Ästhetik als Vermittlung

Arbeitsbiographie eines Generalisten

Ästhetik als Vermittlung, Bild: Umschlag.
Ästhetik als Vermittlung, Bild: Umschlag.

Was können heute Künstler, Philosophen, Literaten und Wissenschaftler für ihre Mitmenschen leisten? Unbestritten können sie einzelne, für das Alltagsleben bedeutsame Erfindungen, Gedanken und Werke schaffen. Aber die Vielzahl dieser einzelnen bedeutsamen Werke stellt heute gerade ein entscheidendes Problem dar: Wie soll man mit der Vielzahl fertig werden?

Das Publikum verlangt zu Recht, daß man ihm nicht nur Einzelresultate vorsetzt, sondern beispielhaft vorführt, wie denn ein Einzelner noch den Anforderungen von Berufs- und Privatleben in so unterschiedlichen Problemstellungen wie Mode und Erziehung, Umweltgestaltung und Werbung, Tod und Geschichtsbewußtsein, Kunstgenuß und politischer Forderung gerecht werden kann, ohne als Subjekt, als Persönlichkeit hinter den Einzelproblemen zu verschwinden.

Bazon Brock gehört zu denjenigen, die nachhaltig versuchen, diesen Anspruch des Subjekts, den Anspruch der Persönlichkeit vor den angeblich so übermächtigen Institutionen, gesellschaftlichen Strukturen, historischen Entwicklungstendenzen in seinem Werk und seinem öffentlichen Wirken aufrechtzuerhalten. Dieser Anspruch auf Beispielhaftigkeit eines Einzelnen in Werk und Wirken ist nicht zu verwechseln mit narzißtischer Selbstbespiegelung. Denn:

  1. Auch objektives Wissen kann nur durch einzelne Subjekte vermittelt werden.
  2. Die integrative Kraft des exemplarischen Subjekts zeigt sich in der Fähigkeit, Lebensformen anzubieten, d.h. denkend und gestaltend den Anspruch des Subjekts auf einen Lebenszusammenhang durchzusetzen.

Die Bedeutung der Ästhetik für das Alltagsleben nimmt rapide zu. Wo früher Ästhetik eine Spezialdisziplin für Fachleute war, berufen sich heute selbst Kommunalpolitiker, Bürgerinitiativen, Kindergärtner und Zukunftsplaner auf Konzepte der Ästhetik. Deshalb sieht Bazon Brock das Hauptproblem der Ästhetik heute nicht mehr in der Entwicklung von ästhetischen Theorien, sondern in der fallweisen und problembezogenen Vermittlung ästhetischer Strategien. Diese Ästhetik des Alltagslebens will nicht mehr ‚Lehre von der Schönheit‘ sein, sondern will dazu anleiten, die Alltagswelt wahrnehmend zu erschließen. Eine solche Ästhetik zeigt, wie man an den Objekten der Alltagswelt und den über sie hergestellten menschlichen Beziehungen selber erschließen kann, was sonst nur in klugen Theorien der Wissenschaftler angeboten wird. Solche Ästhetik zielt bewußt auf Alternativen der alltäglichen Lebensgestaltung und Lebensführung, indem sie für Alltagsprobleme wie Fassadengestaltung, Wohnen, Festefeiern, Museumsbesuch, Reisen, Modeverhalten, Essen, Medienkonsum und Bildungserwerb vielfältige Denk- und Handlungsanleitungen gibt. Damit wird auch die fatale Unterscheidung zwischen Hochkultur und Trivialkultur, zwischen Schöpfung und Arbeit überwunden.

Erschienen
1976

Autor
Brock, Bazon

Herausgeber
Fohrbeck, Karla

Verlag
DuMont

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

ISBN
3-7701-0671-7

Umfang
XXXI, 1096 S. : Ill. ; 25 cm

Einband
Lw. (Pr. nicht mitget.)

Seite 211 im Original

Band II.Teil 1.6 Selbstbestimmung und Fremdbestimmung

– Zur funktionalen Unterbestimmtheit der Kunsthochschulen

Vortrag an der Hochschule für Bildende Künste, Hamburg 1967. 1967 und 1969 auch als Funksendung im Sender Freies Berlin. Vgl. auch den daran zeitlich wie inhaltlich anschließenden Vortrag 'Nun auch Spezialisten fürs Allgemeine - Die Generalistik schon bald als Studienfach an unseren Hochschulen' (in Band I, Teil 3, 2).

Die Kategorien der Selbstbestimmung und Fremdbestimmung nehmen sich etwas blutlos und unbestimmt aus. Wir können dem nicht sogleich abhelfen. Denn es geht nicht um die Definition der Kategorien, mit denen dann zu operieren wäre. Es geht darum, diese Kategorien zu entfalten am Gegenstand der Untersuchung. Wir wollen das Problem darstellen, indem wir die Kategorien entfalten.
Zunächst kann man wohl Selbstbestimmung und Fremdbestimmung als Bezugspunkte eines Verhältnisses zwischen Autonomie und Abhängigkeit verstehen. Wir fragen nach der Relation von Autonomie und Abhängigkeit, in der Staatliche Kunsthochschulen leben.
Wer fragt?

Ich frage. Ich bin Dozent an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Ich bin ein merkwürdiger Dozent. Denn ich habe keinerlei administrative Verpflichtungen, bin nicht gehalten, meine Tätigkeit vollständig als die eines Dozenten zu verstehen. Mein Leben wird nur teilweise bestimmt durch die Tatsache, daß ich ein Dozent bin. Ich scheine ein privilegierter Dozent zu sein, da mir nur ein geringes Maß an Bedingungen für meine Tätigkeit gestellt zu sein scheint. Warum kann ich dann und warum will ich dann das angezeigte Problem darstellen?

Ob ich es kann, wird sich zeigen. Was für ein Interesse ich daran habe, muß ich sagen. Mein Interesse ist bestimmt eben durch die Bedingungslosigkeit meiner Tätigkeit, man kann auch sagen, mein Interesse sei bestimmt durch Folgenlosigkeit meiner Tätigkeit. Meine Tätigkeit ist nicht bestimmbar. In unserer Gesellschaft werden z.B. Tätigkeiten als Leistungen bestimmbar. Dem Selbstverständnis dieser Gesellschaft nach ist sie eine Leistungsgesellschaft.

Warum kann meine Tätigkeit nicht als Leistung bestimmt werden? Eben aufgrund ihrer Bedingungslosigkeit, denn erst Arbeit, getan unter bestimmten Bedingungen, ist Leistung. Als fundamentale Bedingung wäre vor allem eine Funktionszuweisung meiner Arbeit zu fordern, und zwar eben nicht eine bloß formal zugewiesene Funktion, denn formal habe ich sie schon in der Funktion des Dozenten zugewiesen bekommen. Materiale Funktionszuweisungen müßten dazugehören, also z.B. die Klärung der gesellschaftspolitischen Rolle, die an diese Tätigkeit gebunden ist. Eine andere fundamentale Bedingung, die gestellt sein müßte, wäre das Abgrenzen und Eingrenzen des Zugeständnisses von Verfügung über ein Mindestmaß an Produktivmitteln.

Wenn ich das Selbstverständnis dieser Gesellschaft als Leistungsgesellschaft zugrundelege, dann ist meine Tätigkeit nicht als Leistung zu bewerten. Statuszuweisung aber und Entschädigung werden in dieser Gesellschaft ihrem Selbstverständnis nach durch die erbrachten Leistungen begründet. Da ich offensichtlich nichts leiste, erhalte ich kaum Entschädigungen und nur äußerst geringe Statuszuweisungen.

Da ich mich aber dem Selbstverständnis dieser Gesellschaft als Leistungsgesellschaft unterwerfen soll. muß ich daran interessiert sein, Leistungen zu erbringen, damit ich höhere Entschädigungen und einen höheren Status erhalten kann. Da ich also gerne Leistungen erbringen möchte, ist es merkwürdig,daß ich sie nicht erbringen kann. Diese Merkwürdigkeit könnte erhellt werden, wenn sich zeigen ließe, daß ich unfähig bin, meine Arbeit zu tun. Das ist offensichtlich nicht der Fall nach allen objektiven Kriterien, die Arbeit als Arbeit bestimmen. Daß ich arbeiten kann, ist nicht zu bestreiten. Ich bin eben nur ein Arbeiter und kein Leister. Das muß durch den zweiten Faktor der Leistungsbestimmung, die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird, erklärbar sein. Und ist es auch. Arbeiter ist jemand, dem in einer solchen Leistungsgesellschaft die Bedingungen seiner Arbeit nicht zugestanden werden. ja dem sie nicht einmal bekannt werden.

Der scheinbare Vorteil der Bedingungslosigkeit meiner Dozententätigkeit ist in Wahrheit demnach die Misere meiner Tätigkeit, ihre Folgenlosigkeit und damit für mich auch ihre Unbefriedigtheit.
Ich habe also ein Interesse, hier darzustellen, welche Bedingungen notwendig gegeben sein müssen, damit meine Arbeit nicht länger unbefriedigend, weil folgenlos bleibt, damit sie z.B. als Leistung bestimmbar wird. Ich brauche mich nicht aus dem Selbstverständnis dieser Gesellschaft hinauszustellen, und ich will zunächst dieses Selbstverständnis nicht aufheben. Deshalb kann ich sagen: diese Gesellschaft scheint ihrem Selbstverständnis nur in geringem Umfang zu entsprechen, da sie Leistungen unmöglich macht. Ich wäre bereit, das Selbstverständnis dieser Gesellschaft als Leistungsgesellschaft zu akzeptieren, wenn sie Leistungen ermöglichen würde.

Das an meinem Fall Konstatierte trifft wenigstens insofern auch auf andere Fälle zu, als die Leistungen in sehr vielen anderen Fällen ebenfalls nicht angebbar sind oder aber doch als sehr geringe Leistungen betrachtet werden können. Ich möchte sagen, daß diese Fälle die Mehrzahl an allen deutschen Kunsthochschulen ausmachen.

Es scheint da aber etwas unklar zu sein. Denn die Mehrzahl der Dozenten an Staatlichen Hochschulen erhält höhere Entschädigungen und auch höhere Statuszuweisungen als ich. Also müßte doch auch ihre Leistung überhaupt eine sein und eine größere dazu. Diese Dozenten müßten also Leister sein und nicht nur Arbeiter wie ich.

Diese Unklarheit kann beseitigt werden, denn sie wird verursacht durch die Abspaltung der autonomen Praxis künstlerischer Hochschulen als Institutionen von der allgemeinen Lebenspraxis der Gesellschaft als ganzer.

Nur in der Zerstückelung der allgemeinen Lebenspraxis liegt nämlich noch die Möglichkeit, Entschädigungen an sogenannte individuelle Leistungen zu binden. Es werden geschlossene Leistungssysteme konstruiert und an Institutionen zur Verwaltung gebunden. Die Institution wird zum größten Teil nur deshalb geduldet, weil es Teilbereiche geben soll, in denen oberflächlich gilt, was für die Gesellschaft insgesamt nicht gelten kann: nämlich das reale Leistungsprinzip.
Mit der Autonomie der Institute besteht aber die Gefahr, daß sich in ihnen die Leistungssysteme bis zur Instabilität der inneren Hierarchie der Institute verselbständigen. Treue zum Arbeitsplatz als Tugend ist nichts als die durch Systemverselbständigung erzwungene Instabilität, die der Arbeitnehmer fürchtet und der deswegen an seinem Arbeitsplatz verharrt. Diese Instabilität läßt sich nämlich ausnutzen. Diese den einzelnen Unternehmern und Instituten zwar angenehme Lage ist dem Staat durchaus nicht angenehm und den betroffenen Mitarbeitern auch nicht. Denn autonome Lebensbereiche werden schnell zu autonomen Machtbereichen, die der Staat nur tolerieren kann, wenn sie alle allgemeinen Bedingungen gehorchen, wenn also die Autonomie durch Abhängigkeit begründet wird.

Die durch Abhängigkeit begründete Autonomie ist auch die Autonomie z.B. unserer künstlerischen Hochschulen. Diese Relation zwischen Autonomie und Abhängigkeit macht alle künstlerischen Hochschulen miteinander vergleichbar oder: wenn man von einer spricht, spricht man zugleich von allen.
Für das Leistungssystem heißt das: Leistungen können nicht mehr als Leistungen betrachtet werden, weil tatsächliche Leistungen die Institute instabil machen würden, jedenfalls aus der Sicht des Staates. Würde das Institutsleben durch Leistungskonkurrenz geprägt, wäre eben nicht mit Sicherheit auszumachen, wohin das führt. Deshalb wird das Leistungsprinzip suspendiert. Entschädigungen und Statuszuweisungen erfolgen automatisch durch Besoldungs- und Beförderungsgesetze für Tätige an Staatlichen Instituten. In ihnen wird zwar weiterhin von individuellen Entschädigungszuweisungen aufgrund individueller Leistungen geredet, aber mehr auch nicht. Die vielzitierte Einzelleistung bleibt eine vereinzelte, das heißt eine ganz und gar unverbindliche.

Sie wird als Einzelleistung bezeichnet, damit so schon abgegolten werden kann, was man durch reale Entschädigung nicht abgelten will. Zur realen Entschädigung würde z.B. das Zugestehen von Entscheidungsbefugnissen gehören. Das aber soll gerade nicht ermöglicht werden, weil sonst die Relation zwischen Autonomie und Abhängigkeit verändert würde.

Die Autonomie der Hochschulen ist eine Scheinautonomie insoweit, als zur Autonomie gerade infolge des Selbstverständnisses der Gesellschaft als Leistungsgesellschaft auch die autonome Leistungsentschädigung gehören müßte.

Daß andere Dozenten der Hochschule höhere Entschädigungen erhalten und einen höheren Status zugewiesen bekommen, ist nicht durch ihre Leistungen bedingt, sondern durch die Abhängigkeit des Instituts. Aber die Abhängigkeit der Hochschulen besteht ja nicht nur in der Verweigerung der Möglichkeit, reale Entschädigung für in ihnen erbrachte Leistungen zuzuteilen.

Die Abhängigkeit liegt vor allem darin, daß die Institute im besonderen nicht sein dürfen, was im allgemeinen gilt. Die Abhängigkeit liegt darin, daß nur der Staat bestimmt, welche Vermittlung zwischen dem Allgemeinen, dem Leben der Gesellschaft, und dem Besonderen, dem Leben der Institute, herrscht. Der Staat als Träger der Institute bestimmt ihr Leben, Das wird durch die Verfassungen der Hochschulen geregelt, zumindest und formal wenigstens. Entscheidender ist, daß der Staat auch die materialen Bedingungen bestimmt, unter denen in den Instituten gearbeitet wird. Bevor wir aber die Kategorie der Abhängigkeit zur Kategorie der Fremdbestimmung substantialisieren, müssen wir uns nochmals mit der der Autonomie beschäftigen. Die Erkämpfung der Autonomie der künstlerischen Hochschulen ist historisch gesehen eine große Leistung gewesen. Sie hat in erster Linie durch den Hinweis darauf geschehen können, daß die bürgerliche Kunstideologie davon ausgeht, ästhetische Praxis sei autonom gegenüber gesellschaftlicher Praxis. Sie sei etwas qualitativ anderes und Unvergleichliches.

Die Autonomie der künstlerischen Hochschulen verdankt sich der sogenannten Freiheit der Künste. Wobei Freiheit, wie wir sehen werden, verwechselt wurde mit Bedingungslosigkeit. Und solche bedingungslose Freiheit wurde auch recht schnell und gern zugestanden. Die schnelle Institutionalisierung der staatlichen Kunsthochschulen war möglich, weil die Künstler auf nichts als ihrer künstlerischen Freiheit bestanden; künstlerische Freiheit ging ihnen über alles, also auch über die Frage, was denn Institutionalisierung bedeute. Die künstlerische Freiheit würde schon fertig werden mit dem Lehrauftrag und mit dem Lehrerstatus. Künstlerische Freiheit würde die institutsinternen Beziehungen problemlos machen.
Im Bereich der wissenschaftlichen Forschung wurde Institutionalisierung so schnell zugestanden, weil die bürgerliche Wissenschaftsideologie davon ausging, daß wissenschaftliche Arbeit ihren Gegenstand in sich selber habe; er sei etwas qualitativ anderes und Unvergleichliches zur Gegenständlichkeit gesellschaftlichen Lebens allgemein. Die Wissenschaft sei objektiv. Aus der knstlerischen Freiheit wie aus der wissenschaftlichen Objektivität begründete sich die Autonomie der staatlichen Hochschulen, denn Autonomie hieß ja nichts anderes als Selbstbestimmung der Forschung und Lehre aus ihrem Forschungsgegenstand. Die zugestandene Freiheit ist die Differenz zwischen bloßer Selbstbestimmung und wahrer Autonomie.

Die Künstler als Lehrer an den Hochschulen z.B. konnten sagen, was denn ein Kunstwerk und was demzufolge Gegenstand ihrer Lehrtätigkeit sei. Sie wußten, was ästhetische Praxis ausmacht. Dieses ihr Wissen ist Bestandteil der bürgerlichen Kunstideologie. Aus der bürgerlichen Kunstideologie ergibt sich auch, welche Funktion die Hochschul- oder Akademielehrtätigkeit haben soll: nämlich und selbstverständlich zu lehren, wie man Kunstwerke schafft. Der Gedanke, lehren zu können, wie man Kunstwerke schafft, ist aber beileibe nicht zum Gedanken dessen geworden, daß man Kunstwerke überhaupt herstellt oder produziert, wie man in anderen gesellschaftlichen Praxisbereichen produziert. Denn Selbstbestimmung ästhetischer Praxis ist auch Bestimmung des Tuns, aus dem Kunstwerke hervorgehen. Und dieses Tun ist - so heißt es - ein besonderes Tun. Es wird in Analogie zum göttlichen Schöpfungsakt ex nihilo vorgenommen. Das Kunstwerk wird erschaffen. Die persönlichen Befähigungen des lieben Gottes werden zu persönlichen Fähigkeiten des Künstlers der bürgerlichen Kunstideologie: er hat ein schöpferisches Vermögen, er ist eine schöpferische Potenz. Sein Ingenium findet nur Befriedigung an der Hervorbringung von etwas Großem, Einmaligem, Niedagewesenem. Er macht wie der liebe Gott alles selber, vom ersten Handschlag bis zur Namensgebung.

Es ist natürlich nicht angebracht, diese Selbstbestimmung künstlerischen Arbeitens lächerlich zu machen, wenn wir von historischen Manifestationen ausgehen. Sind sie heute anzutreffen, so wirkt der Versuch, sich darüber zu mokieren, leicht verkrampft, weil es einem die Sprache und das Denken verschlägt. Wer heute diese Form der Selbstbestimmung künstlerischen Arbeitens akzeptiert, dem dürfte das Denken verschlagen sein.

In den stattgehabten Prozessen zu Fragen der künstlerischen Freiheit wurde immer nur untersucht, ob es sich beim betreffenden Gegenstand um einen künstlerischen handele oder nicht. Die Frage nach der Freiheit solcher Selbstbestimmung wurde niemals erörtert.

Wo sie hingegen erörtert wurde, wie z.B. bei SCHILLER und MARX, den Cheftheoretikern der bürgerlichen Kunstideologie, da wurde solche Freiheit unter allen Umständen bejaht. Und nicht nur für Künstler. SCHILLER und MARX meinen, daß diese künstlerische Freiheit der Selbstbestimmung für alle Menschen gelten sollte, aber leider nicht gilt. So daß der praktizierten künstlerischen Freiheit eine Art Statthalterschaft zukomme bis zu dem Augenblick, in welchem sie allen Menschen gewährt werden wird. Der Künstler verhalte sich in der Freiheit seiner Selbstbestimmung schon heute so, wie sich alle Menschen verhalten können sollten.

Das aber ist ein schlichter Irrtum, der nur daraus zu erklären ist, daß weder SCHILLER noch MARX wußten, was schon zu ihren Zeiten ästhetische Praxis ausmachte. Nach den subjektiven Äußerungen von Künstlern des neunzehnten Jahrhunderts (etwa in ihren Tagebüchern, in den Biographien, in den Selbstdarstellungen) wie auch nach den objektiven Äußerungen (etwa in ihren Werken), läßt sich künstlerische Praxis als eine einzige Plackerei und eine unglaubliche Anstrengung darstellen und erkennen. Von den hohen Formen der künstlerischen Freiheit der Selbstbestimmung ist kaum eine wirklich auszuweisen. Die Lebensschicksale der Beteiligten zeigen das so gut wie das Schicksal ihrer Werke. Das Schicksal ihrer Werke freilich in einem umgekehrten Sinne. Die Werke entfremdeten sich den Künstlern genauso wie sich das produzierte Werkstück dem Arbeiter entfremdete. Ja, aufgrund der Fiktion und Forderung, der Künstler leiste bereits nichtentfremdete Arbeit, war die Entfremdung seiner Werke für ihn doppelt grausam. Was er unter den unmenschlichsten Bedingungen erarbeitet und was er dabei als Werk zustandegebracht hatte, wurde zur Erbauung derer, die nicht genötigt waren, überhaupt zu arbeiten, oder derer, die zur Freisetzung von der Notwendigkeit zur unmittelbaren Lebensreproduktion abkommandiert wurden, also etwa der Kunstprofessoren. Wer sagt, daß die Künstler immerhin die Freiheit gehabt hätten, sich durch Produktion von Kunstwerken aus der Misere des Lebens zu befreien und durch Selbsterkenntnis den Leidensdruck zu mindern, der gesteht immerhin zu, daß der Anlaß zur künstlerischen Tätigkeit doch solche Misere und solches Leiden waren, aber auf keinen Fall die freiheitliche Selbstbestimmung künstlerischen Tuns.

Die bürgerliche Kunstideologie eroberte langsam auch die allgemeinen staatlichen Schulen. Kunstunterricht wurde obligatorisch, weil es hieß, daß jeder Mensch die Veranlagung zur künstlerischen Selbstbestimmung in sich trage, sie aber nicht entwickle, was leider nur den ganz Großen und Begabten möglich sei. Nichtsdestoweniger sollte aber doch schon jeder Schüler einen kleinen Einübungskursus aufs kommende Glück erhalten.

Das Resultat dieser Praxis ist die totale Unterwerfung jedes Schulpflichtigen unter den Anspruch der bürgerlichen Kunstideologie. Er muß sich ihm unterwerfen, weil er an sich selber erfährt und demonstriert bekommt, daß er es nicht zur Entfaltung seiner Fähigkeit bringe, daß er kein Künstler sei. Wo die kindliche Prädisposition ftir den Kunstunterricht zum Ausgangspunkt gemacht wird, da wird der Kunstunterricht nichts als eine Beschäftigungstherapie, die die künstlerische Tätigkeit ganz und gar in den Bereich der Freizeitgestaltung überführt. Etwas älter geworden, werden sich diese Kinder als do-it-yourself-Künstler betätigen, denen die stille Sehnsucht nach dem ewig schönen und arbeitsfreien Sonntag jede Ausgabe für Fernkurse und Materialien rechtfertigt.

Die Selbstbestimmung künstlerischer Tätigkeit als Schöpfung von Kunstwerken ist total gescheitert, sowohl was die betroffenen Zöglinge anbelangt als auch ihre Lehrer. Diese Lehrer sind an staatlichen Kunsthochschulen ausgebildet worden, d.h. sie müssen zwangsläufig sich als Produkte der Selbstbestimmungsideologie erkennen. Sie finden sich vor als Leute, die nicht gelernt haben, wie man Kunstwerke schafft. Denn hätten sie es gelernt, würden sie ja nicht lehren, sondern Kunstwerke schaffen. Und höchstens als Kunstmeister zeigten sie, wie sie Kunstwerke schaffen. Diese Lehrer müssen sich selbst als Sozialkrüppel erkennen, dazu bestimmt, ihrerseits Sozialkrüppel hervorzubringen.

Das alles geschieht unter Verweis auf die bedingungslose künstlerische Freiheit der Selbstbestimmung. Wir müssen dieser Freiheit Bedingungen schaffen, damit sie wenigstens nicht zum Schändlichsten gebraucht werden kann: einer entstellten sozialen Individualität, die irrsinnig vor Angst und vom Leiden zermürbt ist, die einsam und unrettbar verloren ist, zuzurufen, schließlich aber sei sie eine künstlerische Persönlichkeit und das entschädige für alles. So ist gerade die Situation der Kunsterzieher an Kunsthochschulen das auslösende Moment für die endlich allgemein akzeptierte Notwendigkeit von Fremdbestimmung für die ästhetische Praxis. Würde man die Kunsterzieher aus den Kunsthochschulen herausnehmen, wären die Kunsthochschulen zum sofortigen Absterben verurteilt; denn die Kunstkunstlehrer wollen sich nur zu gern auf die reine Selbstbestimmung ihrer Arbeit zurückziehen. Norbert KRICKE hat das jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung überdeutlich als seinen und seiner Kollegen Herzenswunsch dargestellt.

Bei der Suche nach Bedingungen für die künstlerische Arbeit, damit sie Leistung werden kann, die mit anderen Leistungen gesellschaftlicher Arbeitsprozesse vergleichbar wäre, und wobei die blanke Freiheit der Selbstbestimmung durchschaubar würde, stößt man als erstes auf die konstatierte Abhängigkeit der gewährten Autonomie. Die Abhängigkeit von den staatlichen Trägem der Hochschulen. Diese Abhängigkeit ist ja per definitionem keine Einschränkung der künstlerischen Freiheit. Diese Definition oder formale Kennzeichnung müßte also aufgebrochen werden. Zum Beispiel an dem Punkt, an welchem die künstlerische Freiheit der Selbstbestimmung eben nicht mehr zu ausreichenden Leistungen führt. Es hat keinen Zweck, diese Leistungen einfach deshalb als ausreichend zu erklären, weil überall nicht mehr geleistet wird. Es sei nochmals erinnert, daß wir hier vom Selbstverständnis dieser Gesellschaft als Leistungsgesellschaft ausgehen - wir spielen der Gesellschaft nur ihre eigenen, immer wiederholten Melodien vor.

Was nützt künstlerische Freiheit der Selbstbestimmung, wenn damit nicht auch ermöglicht wird, überhaupt etwas zu tun? Und was bisher an den staatlichen Kunsthochschulen getan werden kann, ist kümmerlich. Bisher werden dort nur Kunstwerke jener Art hervorgebracht, die von dem bißchen Freiheitsentschluß leben, also davon, daß sich jemand vor eine Staffelei setzt und malt. Wie figura zeigt, kommt dabei aber nur in einem von hundertfünfzig Fällen ein Gemälde als Kunstwerk heraus. Kann es sich eine Leistungsgesellschaft leisten, auf solch unproduktivem Wege Leistungen zu erzielen? Lohnt der Unterhalt eines Instituts oder vieler Institute, wenn es nur zufällig einmal gelingt, dort eine Leistung zu erbringen. Denn was die 149 anderen Fälle hervorbringen, sind ja eben keine Leistungen oder nur schlechte. Sind sie deshalb schon für den Schulgebrauch geeignet? Das würde das Problem doch nur von der Hochschule in die Schule verlagern, in der dann die leistungsschwachen Hochschulabsolventen lehren. Es muß wohl vom Hochschulträger, also von den politischen Entscheidungsinstanzen, verlangt werden, daß sie nicht nur die formale Beziehung von Autonomie und Abhängigkeit, sondern auch deren materiale bestimmt. Das tut der Hochschulträger auch, jetzt in leider falscher Weise. Bisher bestimmt er die materiale Beziehung nur negativ, nämlich durch Verweigerung von Funktionszuweisung, Verweigerung der Verfügung über Produktivmittel und Verweigerung der Möglichkeit, ästhetische Praxis als gesellschaftliche Praxis zu betreiben. Es geht den künstlerischen Hochschulen um eine solche materiale Bestimmung ihrer Arbeit, es geht um Funktionszuweisung, um Verfügung über Produktivmittel und um die Möglichkeit, ästhetische Praxis auch als gesellschaftliche zu betreiben. In dieser materialen Bestimmung geht die Abhängigkeit (als formale Beziehungsrelation) in Fremdbestimmung über, die Fremdbestimmung ästhetischer Praxis. Funktionszuweisung und Verfügung über Produktivmittel kann man dabei zum instrumentellen Charakter ästhetischer Praxis zusammenfassen. Ästhetische Praxis, als gesellschaftliche Praxis verstanden, sollte man als den ideologischen Charakter ästhetischer Praxis bestimmbar werden lassen.
Zunächst die Funktionszuweisung. Bisherige Funktionen der ästhetischen Praxis an Hochschulen waren

Ausbildung von Lehrern,
Manifestation des gesellschaftlichen Selbstbewußtseins, sie sei eine solche, in der es bedingungslose ästhetische Praxis gibt, also künstlerische Freiheit,
Institutionalisierung ästhetischer Praxis aus Gründen gesellschaftspolitischer Gruppenrepräsentanz.
Wie angedeutet, konnten die Hochschulen diesen Funktionen nur aus dem Selbstbestimmungsdiktum gerecht werden. Das heißt, sie wurden ihnen eben nicht gerecht. Die Lehrer werden nicht zu Künstlern ausgebildet, auf die künstlerische Freiheit kann man pfeifen, solange sie bloß formal ist, und die Insassen der künstlerischen Hochschulen spielen gesellschaftspolitisch keine Rolle.

Um anzugeben, auf welcher Ebene die erbetene Fremdbestimmung als Funktionszuweisung anzusehen wäre, möchte ich darauf verweisen, daß z.B., die Spieltheorie, die Entscheidungstheorie, die Simulationstechnik aus dem Bereich der ästhetischen Praxis stammen, allerdings aus Gründen der materialen Unterbestimmung ästhetischer Praxis an Hochschulen nicht einmal rezipiert werden können.
Ich glaube, daß die Funktionenzuweisung für ästhetische Praxis an staatlichen Hochschulen beim heutigen Stand der Produktivmittel ansetzen muß.

Zum ersten: Anstatt Studenten vorzumachen, man könne sie zu Menschen ausbilden, die selbständig etwas schaffen, was seinerseits erst wieder Gegenstand der Beschäftigung anderer zu sein hätte, sollten sie ausgebildet werden in Techniken und Verfahren, die Konstellationen schon vorhandenen Materials ihrer Arbeit zugänglich machen. Statt Probleme in die Welt zu setzen, also blind zu produzieren, sollten sie Problemlösungstechniken erlernen, also lernen, was sie produzieren wollen. Heute lädt jeder an jeder Ecke sein kleines Häufchen ab. Aber die einzelnen Haufen bleiben gegeneinander vollkommen gleichgültig. Die Schaffung von Kontinuität innerhalb der einzelnen Arbeitsanstrengungen gehörte unmittelbar zu den Techniken der Problemlösung. Diese Kontinuität war bisher ganz abstrakt: sie wurde als die Kontinuität des Schaffens einer ausgebildeten künstlerischen Persönlichkeit bezeichnet. Dazu gehörte ein Grad der Entfaltung der Individualität, die dem Einzelnen hier zwar im Grundgesetz verbrieft ist, aber ansonsten verweigert wird. Konkret wird diese Kontinuität des Handelns erst, wenn sie darin anzutreffen ist, was einer macht, und nicht darin, was einer ist. Darin, was er tut, und nicht in der Rolle, die einer spielt. Die Kontinuität liegt nicht in der durchgehaltenen Rolle des Künstlers, die man spielt, sondern sollte ermöglicht werden in der Arbeit, die man leistet. Nur Erkenntnis vermag im Handeln zu orientieren und diesem auch einen Sinn zu geben, mit der Dressur von sozialen Rollenträgern und Künstlern wird deren Handlungsweise und Produktion keineswegs mit bestimmt.

Zum zweiten: Ästhetische Praxis in staatlichen Kunsthochschulen hätte die Funktionszuweisung erhalten können, Darstellungsmethoden komplexer Sachverhalte zu erarbeiten. In welchem gesellschaftlichen Praxisbereich auch immer solche Darstellungen versucht werden, es ist ihnen anzusehen, daß sie aus der ästhetischen Praxis stammen. Ob das Präsentationen von erarbeiteten Kampagnen in der Bewußtseinsindustrie sind, ob das Staatsempfänge sind oder Tagungen zum Problem der Rassenantagonismen - die Kümmerlichkeit solcher Veranstaltungen liegt darin, daß die Komplexität der Sachverhalte unter den Tisch fallen muß, weil es den Einzelnen unzumutbare, unendliche Mühe kosten würde, Darstellungen so komplexer Sachverhalte zu erarbeiten.

Zum dritten: Ästhetische Praxis an staatlichen Hochschulen hätte die Funktion zugewiesen bekommen können, Umweltbestimmungen zu ermöglichen, Umweltkonstituierung zu planen. Vom Kindergarten bis zum Arbeitsplatz, vom Blindenspaziergang bis zur Touristenfahrt ist Umwelt heute mehr oder weniger ein Konditionierungsgerüst, eine Versuchsanlage zur Entmündigung. Mit grotesken Mitteln aus der Mottenkiste ästhetischer Praxis wird die Veränderbarkeit des Dochgleichen vorgespielt. Die Kontrolle dieser künstlerischen Mittel wäre sinnvollerweise den besprochenen Instituten zu übertragen. Schon heute ist verstehbar, wie wichtig die Techniken der Psychosynthese in wenigen Jahren sein werden; aber die besprochenen Institute dürfen politische Entscheidungsgremien nicht einmal darauf aufmerksam machen, daß sie in der Lage sein sollten, diese Entwicklung abzuschätzen, und diese Institute wären dazu in der Lage, weil die entscheidenden Mittel der Psychosynthese aus der ästhetischen Praxis stammen.
Und so fort und so weiter. Es ist klar, daß dieser instrumentelle Charakter ästhetischer Praxis nur nutzbar ist, wenn er sich materialisiert, wenn also die notwendige Verfügung über die Produktivmittel zugestanden wird, die obige Funktionszusammenhänge bestimmen. Die primitivsten Produktivmittel an Maschinen stehen den Hochschulen nicht zur Verfügung, geschweige denn die Produktivmittel Technologien und Wissenschaften. Jedes politische Entscheidungsgremium macht sich selbst als demokratische Instanz unglaubwürdig, ja enthüllt sich als Unterdrückungsinstrument, wenn es sich weigert, den von ihm selbst getragenen Institutionen Verfügung über die notwendigsten Produktivmittel zuzugestehen. Das politische Entscheidungsgremium ist ein Unterdrückungsinstrument, weil es nicht erlaubt, daß sich Dozenten und Studenten der künstlerischen Hochschulen auch nur darüber eine Information verschaffen wollen, was möglicherweise für sie zu tun wäre; denn schon dazu gehört die Verfügung über ein großes Maß an Produktivmitteln auf dem Stand der heutigen Produktivmittelentfaltung.

Die politischen Entscheidungsgremien zwingen heute die Studenten und Dozenten ihrer künstlerischen Hochschulen, auf dem Wege der Umfunktionierung die verweigerte Fremdbestimmung als Funktionszuweisung zu ersetzen. Sie wollen die Fremdbestimmung als Selbstbestimmung hervorbringen. Das ist unmöglich, weil solche selbstproduzierte Fremdbestimmung eben nicht den Stand der allgemeinen gesellschaftlichen Produktivmittelentfaltung berücksichtigen kann, denn dazu gehört die Verfügung über Produktivmittel. So wird notwendig mit jedem studentischen Versuch der Umfunktionierung das Niveau der wissenschaftlichen Arbeit absinken müssen, weil diese Versuche immer von dem absehen müssen, was heute tatsächlich die Grenze der Auseinandersetzung zwischen Menschen und der Natur bestimmt, nämlich von dem Entfaltungsgrad der Produktivmittel. Den von ihnen beklagten Niveauverlust haben die politischen Entscheidungsinstanzen allein zu verantworten, denn niemand außer ihnen verweigert das Gegenteil.

Wenn es gar um die Frage der Fremdbestimmung von ästhetischer Praxis als gesellschaftlicher, also um den ideologischen Charakter ästhetischer Praxis geht, wird die heutige Situation an staatlichen Hochschulen für bildende Künste völlig aussichtslos. Es geht dabei um die Möglichkeit, Organisationsformen für gesellschaftliche Interessen der Beteiligten zu finden, materiale Lebensorganisation. Kann z.B. die Hochschule das Leben der in ihr Arbeitenden organisieren? Walter BENJAMIN hat dazu einen Verständigungsvorschlag gemacht. Er sagt, ästhetische Praxis bedeute innerhalb der obwaltenden Produktionsbedingung die Ausbildung neuer Techniken, mit denen der Künstler den Apparat beschickt. Was die im einzelnen sind, kann eben hier nicht erörtert werden. Diese Techniken werden von den Produzenten ästhetischer Praxis erarbeitet. Das macht es notwendig, daß die Produzenten wissen, welche Rolle sie innerhalb des Produktionsprozesses spielen. Sie müssen ihre Arbeit literarisieren, sie müssen sich über den Charakter ihrer Tätigkeit klar werden und vor allem den anderen Beteiligten davon Kenntnis geben. Es muß der Produktion anzusehen sein, daß sie aufgrund neuer Techniken zustandekommt. Das führt dazu, daß sich andere Beteiligte über ihren Teil an dieser Produktion verständigen und orientieren können. Sie organisieren sich, auch als Zuschauer natürlich, denn auch als Zuschauer sind sie ein Teil der Produktion. Durch ihre Organisation werden die Beteiligten in die Lage versetzt, wiederum ihre Arbeit zu beurteilen, Entscheidungen zu treffen - kurz, sie bilden Tendenzen aus, die sie veranlassen und in den Stand setzen, die Produktion mit neuen Techniken zu beschicken und damit den Apparat zu verändern. Können unsere Hochschulinsassen je zur Ausbildung von Tendenz kommen, können sie jemals wirkliche Produzenten werden? Offensichtlich nicht, denn sie können sich nicht organisieren. Und sie können sich nicht organisieren, weil sie ihre Rolle innerhalb des Produktionsprozesses nicht bestimmen können. Schon dazu würde Verfügung über Produktivmittel in einem recht großen Umfang gehören. Deshalb werden sie fortfahren, den Apparat mit dem zu beschicken, was ihnen willkürlich und zufällig aus den Händen kommt. Sie werden immer nur einerseits ästhetische Praxis betreiben und andererseits ihr privates Leben führen.

Die Beteiligten werden zu Ersatzlösungen greifen müssen, sie werden Sekten bilden und subkulturelle Zusammenschlüsse, in der Art, wie wir sie heute schon kennen. Sie werden Sicherheit sozialer Umwelt erborgen, sie werden Brüderlichkeit auf der Ebene von Stammesangehörigen zu erreichen suchen. In anderen gesellschaftlichen Praxisbereichen führt das deutlicher zur Faschisierung. Wem immer nur die formale Funktionsbeziehung 'Kanzler' oder 'Minister' geboten wird, der sehnt sich nach der materialen Funktionsbeziehung 'Führer'. Wem immer nur die formale Funktionsbeziehung 'Familie' angeboten wird, der sehnt sich nach der materialen der 'Bande'. Die materiale Organisationsbestimmungen für Lebenspraxis, die wir 'Wohlergehen' oder 'Reichsein' oder 'Zufriedensein' nennen, reichen nicht aus, weil sie bloß subjektiv akzeptiert werden müssen, objektiv aber nicht einsehbar sind. Das Leben zerfällt zu Scherben.

Kleines Zusammengefaßtes und (Eintopf):
Die künstlerischen Hochschulen leben aus ihrer Selbstbestimmung, die bedingungslos ist. Die bedingungslose Selbstbestimmung ist nicht Freiheit, als die sie ausgegeben wird.
Materiale Fremdbestimmung wird verweigert, weil das die politischen Entscheidungsinstanzen zwingen würde, ihrem eigenen Anspruch zu genügen. Sie verweigern Funktionszuweisung, Verfügung über Produktivmittel und die Gleichheit von ästhetischer und Lebenspraxis. Die künstlerischen Hochschulen sind von den politischen Entscheidungsinstanzen dazu verurteilt, gesellschaftlich bedeutungslos zu sein. Ihre einzelnen Mitglieder werden gehalten, sich unters Leistungsprinzip zu ducken, obwohl sie wissen, daß Leistungen unmöglich gemacht werden durch die Entscheidungen der politischen Instanzen.
Es wäre wenigstens zu verlangen, daß diese Instanzen, soweit sie sich am teilweisen Wohlergehen der von ihnen Abhängigen interessiert zeigen, erklärten, nur ihre Willkür bestimme die Situation. Alle Beteiligten empfänden es als wohltuend, wenn die politischen Instanzen sich als willkürliche zu erkennen gäben. Freilich können sie das nicht.

Wenn diese angebliche Leistungsgesellschaft von ihrem eigenen Anspruch schon so unterschieden ist, wie erst müßte sie dann von dem wohl zu erhebenden Anspruch einer freien und mündigen Gesellschaft unterschieden werden.

siehe auch: