Ausstellungskatalog Museum Küppersmühle – Sammlung Grothe
Diese Publikation erschien zur Eröffnung des Museums Küppersmühle - Sammlung Grothe am 18. April 1999
Diese Publikation erschien zur Eröffnung des Museums Küppersmühle - Sammlung Grothe am 18. April 1999
Seite 92 im Original
Zufällig lagen auf der Biennale in Venedig 1976 die Ausstellungsräume Renato Guttusos und Jörg Immendorffs unmittelbar nebeneinander. Der Starmaler der italienischen KP demonstrierte durch seine Malereien unbeirrt kraftvoll den Anspruch des Künstlers, mit seinem Werkschaffen in soziale und politische Diskussionen einzuwirken – ein Engagement, das der damals 31jährige Immendorff zwar teilte, aber für einigermaßen unzeitgemäß naiv hielt. »So nicht«, so geht das nicht mehr, ließ er den berühmten Kollegen Guttuso wissen.
Immendorff hatte in den Jahren 1965-1975 als Schüler des Bühnenbildmalers Teo Otto, als Student in der Klasse von Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie und vor allem als Zeitgenosse der 68er Generation, der studentischen Aktivisten gegen den Vietnamkrieg, gegen die Konsumorgien der westlichen Wohlstandsgesellschaften und gegen die ökologische Verwüstung, gezeigt bekommen, daß man andere Ausdrucksformen entwickeln müsse, um als Künstler überhaupt noch bemerkt zu werden. In vielen phantasiereichen Aktionen in der Kunstakademie, in Galerien, auf Straßen und Plätzen hatte Immendorff sein Potential erprobt. Er versuchte, den studentischen Appellen an die Künstler Ausdruck zu geben, sie sollten »aufhören zu malen« (aber wie kann man ein Künstler sein, wenn man nicht malt, komponiert und Poeme schreibt?). Die studentischen Aktivisten forderten, daß sich die Künstler statt dessen um die Entwicklung neuer sozialer Lebensformen bemühen sollten (was Immendorff mit seinem Pappkartonzirkus Lidl - Stadt anbot). Dem Appell zur direkten Aktion anstelle langwieriger Diskussion genügte Immendorff, indem er Joseph Beuys und ähnliche Zeitgenossen (auch den Verfasser dieses Artikels) zum Boxkampf herausforderte. Immendorffs Fazit: Der Anspruch des Künstlers, politischen Auseinandersetzungen kulturellen Adel zu verleihen, indem er sie in Werke hohen Kunstanspruchs verwandelte, war nicht mehr haltbar (Picassos Guernica hatte Maßstäbe gesetzt, die in veränderten Zeiten niemand mehr erfüllen konnte). Außerdem waren die studentischen Aktivisten mit ihren Kommunikationsformen, ihrer Aktionschoreographie und ihren Sprachkästen viel einfallsreicher und wirksamer, als es ein Künstler zu sein vermochte.
Trotz Immendorffs Diktum »so nicht« gegen Guttuso gab Guttusos Arbeit Immendorff den entscheidenden Anstoß zur Entwicklung eines Bildtyps, mit dem er in die Kunstgeschichte der Bundesrepublik eingegangen ist: die Serie der Café Deutschland-Bilder. Im Kanon der tatsächlich bedeutenden Leistungen deutscher bildender Künstler seit Mitte der sechziger Jahre steht diese Werkserie Immendorffs unbestritten neben zentralen Werkkomplexen seiner Freunde Baselitz, Lüpertz und Penck sowie denen von Richter, Polke und Kiefer. 1976 schuf Guttuso sein berühmtes Gemälde Caffè Greco, das heute dem Museum Ludwig, Köln gehört. Immendorff sah dieses Gemälde in Venedig 1976 nur als Foto; 1977 begegnete Immendorff dem Original dann in einer Kölner Ausstellung. Das Caffè Greco, in dem schon Casanova seine Schokolade trank, in dem die deutschen Klassizisten und die englischen Romantiker, Buffalo Bill und de Chirico ihre Freunde zu einer hora frenetica, zur Begeisterungsgemeinschaft riefen, stellt Guttuso als einen virtuellen historischen Ereignisort dar, an dem sich um den Großmeister de Chirico die historischen Gäste und Gestalten aus de Chiricos Werken unter die typische Laufkundschaft der siebziger Jahre (japanische Touristen, Pop-Art-Groupies, Politiker und Journalisten) mischen. Das Café-Haus als halböffentlicher Ereignisort hat neben dem Salon, dem Atelier und dem Ausstellungsraum eine wichtige Rolle in der europäischen Kulturgeschichte gespielt. Sie alle waren Orte, wo sich »Öffentlichkeit« bildete, eine Sphäre des Gemeinschaftslebens, wo das Gespräch der Freunde, der Partner und der Fremden die Themen herausarbeitete, die von öffentlichem Interesse waren.
Immendorff hatte mit seinen Künstlerfreunden, mit Akademielehrern, Sammlern, Galeristen, Kuratoren, Kunstjournalisten in der Düsseldorfer Kneipe »Ratinger Hof« jahrelang zusammengesessen. Durch Guttusos Caffè Greco wurde ihm schlagartig die historische und aktuelle Rolle dieses Raumtypus klar, und er entwickelte seinen konzeptuellen Raum des Café Deutschland als Ereignisbühne, auf der sich alle Gestalten des Zeitdiskurses, alle Kulissen authentischen Geschehens, alle Zeichen der Zeit versammeln ließen. Auf dieser Bühne konnte er durchspielen, was in der politischen und sozialen Realität kaum möglich war: zum Beispiel eine Auseinandersetzung zwischen den damals noch durch den Eisernen Vorhang und die Berliner Mauer getrennten Ost- und Westwelten, bei denen der Blick zugleich von beiden Seiten des Geschehens reflektiert würde. »Hallo Guttoso«, signalisierte Immendorff, so also geht es doch!
1976 hatte sich Immendorff in Ostberlin mit A. R. Penck getroffen – natürlich in Kneipen, um mit diesem wichtigsten Repräsentanten der Avantgardekünstler, die nicht aus Ostdeutschland emigriert waren, ein gemeinsames Arbeitsprojekt zu starten – damals wurden solche Kooperationen (nach der politisch brisanten Ausweisung des Dichters Biermann aus Ostdeutschland) systematisch verhindert. Mit dem konzeptuellen Raum Café Deutschland schuf Immendorff den Ereignisort für das gemeinsame Projekt, die Mauer zu durchdringen. Der Ereignisort wurde als Bühne des großen Zeittheaters, in Anspielung auf das europäische teatro mundi als Weltbühne, mit einem festen Repertoire von Bildzeichen definiert. Diese von Immendorff entwickelte Ikonographie ist heute im Bewußtsein sehr vieler kunstinteressierter Deutscher fest verankert. Ihre einzelnen bildsprachlichen Topoi umfassen: – den / die Adler als nationale heraldische Zeichen; – die Eisscholle als Vergegenwärtigung des Lebens im sehr kalten Krieg und der seit 1815 immer scheiternden Hoffnung der Deutschen, die C.D. Friedrich schon 1810 malte; – die Naht als Zeichen der Wunden am sozialen Körper der Deutschen; – die Systemklemme (eine Art Schraubstock) als Repräsentation politischer Gewalt; – den Futurologen mit seinen Propagandatrommelschlägeln und als Pencksches Instrumentarium, die Erinnerung an die Zukunft wachzuhalten; – das Brandenburger Tor in Gestaltanalogie zu einem Schlagzeugensemble; – die Raumbeleuchtung als kosmische Sonne; – den Heuler als Repräsentanten des politischen Mitläufers u.v.a.m.
Die Mehrdeutigkeit und Mehrwertigkeit aller dieser ikonographischen Topoi wird an zwei Polen festgemacht: die zwei Seelen in der Brust der Deutschen, die zwei Seiten ein und derselben Medaille, die zwei Hälften des gebrochenen Herzens, die ein Symbol ausmachen: Symbole sind Bruchstücke eines Zeichens, das zerbrochen wurde, damit sich Fremde als Freunde erkennen, sobald die vielen Bruchstücke in ihren Händen nahtlos wieder zu einer Einheit zusammengefügt werden können.
In seinem Gedicht zu Innmendorffs Brandenburger Tor hat A.R. Penck die beiden Pole benannt und in ihrer Unvereinbarkeit gekennzeichnet, das heißt zugleich, daß wir die Realität des Politischen und Sozialen, des Leidens (als Empathie) und des schöpferischen Produzierens (als Pathos) doch nicht symbolisieren können: »man kann nicht gleichzeitig durch Stärke siegen und durch Leid erlöst werden.« Immer wieder haben Deutsche als Künstler und Feldherren, als Unternehmer und Lehrer, als Führer und Geführte versucht, diese Unmöglichkeit dennoch zu erzwingen. Dafür gab Richard Wagner theatralische Anleitungen mit seiner Forderung nach der Erlösung der Erlöser. Heute neigen viele alternativ denkende Zeitgenossen eher der Programmformulierung zu: Man muß sich zum Opfer machen, um Stärke zu beweisen, die Kraft der Ohnmacht ist unüberwindbar. Solche Formulierungen hatte Immendorff bei den Maoisten kennengelernt. Soweit die deutsche Sehnsucht nach dem Unmöglichen, zugleich durch Stärke zu siegen und durch Leid erlöst zu werden, heute auch außerhalb Deutschlands fasziniert, weitet sich das Café Deutschland tatsächlich zur Weltbühne, auf der Tutsis und Hutus, Nord- und Südkorea, Ost- und Westtimor, die Völker Jugoslawiens und viele andere so agieren wie die Deutschen, die durch die Erfahrung des Scheiterns hoffentlich ihre Lektion im Café Deutschland ein für allemal gelernt haben werden.
Das Gemälde Painter As Canvas ist als Bild im Bild aufgebaut. Der Betrachter sieht in ein Atelier, in dessen Boden eine Vertiefung eingelassen ist. In ihr sitzen fünf Gestalten, die man als die Immendorff-Kollegen Baselitz (brotschmierend), Beuys (zigarettenrauchend), Lüpertz (supperührend) sowie Max Ernst und schließlich Immendorff selbst identifizieren kann. Der Dadamax tätowiert Immendorff mit ziemlicher Gewalt die Kennung »Deutscher Scheißer« ins Gesicht. In die Bodenvertiefung kippt ein adlergestaltiger Heros der Deutschen den Müll der Geschichte, in dessen Materialien Bilder der deutschen Geschichte inskribiert sind (deutlicher Hinweis auf Robert Blum und sein Schicksal als Führer der 48er Revolution). Immendorff hält in seiner rechten Hand ein straff gespanntes Seil (den roten Henkersstrick des Schicksals), dessen anderes, von der Atelierdecke hängendes Ende einen Monolith, ein blaues Weltenei im Gralsformat über dem Haupte von Beuys umschlingt. In der romantischen Bläue des Monoliths spiegeln sich Szenen paradiesischen Lebens in freier Natur.
Von der Decke des Ateliers hängt, die Fallgrube vom rückwärtigen Raum abtrennend, eine an den Seiten noch eingerollte Leinwand, auf der Immendorff eine der vielen Versionen seines Generaltopos Café Deutschland gemalt hat: in auffällig gelben, lichtvollen Konturen wird Volk bei der Speisung der Kunstgläubigen geschildert.
An der rechten Seite des noch sichtbaren Atelierraumes agiert – wie gesagt – der adlergestaltige deutsche Nationalcharakter, assistiert von Wotans Raben zwischen Kadavermanna; im seitlich linken Atelierraum agiert ein Paar, das wohl gleich am eigenen Leibe jenen Exhibitionismus manifestieren wird, dem der Maler mit seinen Bildergießungen frönt: eine Leiberfahrung des Künstlers als Folie, in die sich Geschichte einschreibt.
Das Gemälde Der Bildhauer im Maler ist sein bester Feind (Nr. 3) bietet Einsicht in Immendorffs Atelier. Im Vordergrund wird der Betrachterblick mit einer Skulptur konfrontiert. Zu identifizieren sind vier hockende, kauernde Gestalten — eine im Seitenprofil, zwei in Rückenansicht, eine en face. Aus der dichtgedrängten Gruppe ragt ein weiblicher Akt auf – upside down. Deutlich wird die Gruppe als Bildhauerwerk in Holz wiedergegeben, denn die abgeschlagenen Splitter sind um die Gruppe auf dem Boden der Werkstatt zu sehen. Im rechten Bildhintergrund ein kraftvoll devastierter Tisch mit Malerutensilien. Den Horizont des Ateliers bildet eine Reihe von Stelen, auf denen skulpturale Logos des Immendorffschen Bilderkosmos stehen. Die Stelenreihe überblendet eine Inschrift mit dem Titel des Gemäldes in zartem Wangenrosa, dessen Abglanz das gesamte Atelier durchstrahlt, wodurch die Grau-in-Grau-Farbigkeit des Bildes sich gespenstisch belebt.
Die im Gemälde dargestellte Skulptur hat Immendorff tatsächlich in Holz ausgeführt (Ohne Titel). Sie hat die Anmutung eines Osterinseltotems als Denkmal für jenen Künstlerbund, den seit Jahrzehnten die Künstler Penck, Immendorff, Baselitz und Lüpertz um ihren Handelsvertreter Michael Werner bilden. Der Galerist hockt buchstäblich auf einem Vertragskodex, von dem einzelne Worte zu lesen sind: »Rechnung/Richtung/Richtige und wer wen up and down bewegt«. Der Merkur Werner umfaßt mit ausgebreitetem Arm einerseits den Genius der Widerspiegelungskünste, den Protomenschen, und wehrt andererseits Lüpertz, der einige seiner Werke auslobt, ab. Penck hat sich versteinert nach außen gedreht, dem Anflug göttlicher und sozialer Kälte ausgesetzt. Baselitz meditiert in souveräner Innerlichkeit über sein Zentralmotiv des Upside-down (den kopfstehenden Akt); Immendorff, vom Sternentattoo der Himmelsbläue überzogen, werkelt beflissen.
Bemalte Skulptur und malerische Darstellung der Skulptur verweisen auf grundlegende Konflikte im Denken bildender Künstler: Allansichtigkeit gegen Frontalsicht; Farbe als Eigenschaft von Körper versus Körperlichkeit der Farbe; Plastizität gegen Flächigkeit, imaginierte Tiefensicht gegen reale Materialpräsenz; Widerständigkeit der Objekte gegen beliebige Manipulierbarkeit der Vorstellung und schließlich die Herausforderung in der ständigen Entscheidung, durch Hinzufügen oder durch Wegnehmen zu gestalten. Diese Konflikte sind nicht zu lösen, sondern darzustellen. Bezogen auf die Ikonographie der Skulptur heißt das: Künstlers Kampfbund bilden verwandte Seelen, gerade weil sie sich sonst als wilde Konkurrenz wechselseitig erledigen würden.
Bazon Brock
Buch · Erschienen: 01.01.2002 · Autor: Brock, Bazon · Herausgeber: Zika, Anna
Buch · Erschienen: 01.01.2016 · Autor: Brock, Bazon