Die ungleichen Brüder Prometheus und Epimetheus enthüllen erst den ganzen Umfang kultureller Tätigkeiten: Das vorbedachte Handeln, das aber sehr häufig zu einer Vergewaltigung des ursprünglichen Planes führt, und das den Taten nachfolgende Bedenken des eigenen Tuns, durch das aber die unangenehmen Seiten spontan willkürlichen Schaffens nicht mehr aus der Welt gebracht werden können – sondern das nur noch dazu taugt, die selbst hervorgerufenen Übel auszuhalten.
Die Traditionen aus sich heraus – ohne Bezug auf das ganz andere und unverständlich Neue – bestimmen zu wollen, hieße, kulturelle Produktion nur prometheisch zu betreiben als eine fortgesetzte, kalkulierbare, planmäßige Entwicklung des einen aus dem anderen. Und – das avantgardistisch Neue bloß aus sich heraus bestimmen zu wollen, hieße, die kulturelle Produktion ausschließlich epimetheisch zu verstehen, wobei dann „Verstehen“ nur ein nachträgliches, rechtfertigendes Rationalisieren bedeuten würde.
Insgesamt läßt sich die unangemessene Kritik an Spoerri bisher mit dem sattsam bekannten Mechanismus kennzeichnen, der dazu führt, daß man Künstlern vorwirft, ihnen fiele nichts Neues mehr ein, weil sie ihren Werkgedanken in erkennbarer Weise nur wiederholten, um ihnen aber zugleich den Vorwurf eklektizistischer Unterwerfung unter Moden anzulasten, wenn sie darangehen, immer neue Ansätze zu entwickeln.
Von den zahlreichen durch Spoerri inszenierten Festmahlen in Galerien und Museen nötigt sich uns eine erneute Thematisierung der Kulturtechnik „Kochen“ auf, die wir durch ihre alltägliche Selbstverständlichkeit bis zur Bedeutungslosigkeit haben herabsinken lassen.
Aus: Daniel Spoerri als Kulturheros. Im Ausstellungskatalog: Daniel Spoerri. Retrospektive. Innsbruck 1981.
Faszination Kunst
Wie bringt die Kunst das fertig, immer das Interesse aufrechterhalten zu können, im Unterschied zu Pornographie, zu McDonalds? Diese natürlich gegebene Regulierung Lust – Unlust, Ekelschwelle etc. offensichtlich außer Kraft zu setzen?
ebd.
Am Anfang der Neuzeit entstand in Don Quijote eine Leitfigur des modernen Menschen, die alles menschliche Handeln von seinen Extremen aus beurteilte: Triumph und Niederlage, Gut und Böse, Größe und Lächerlichkeit, hoher Mut und tierischer Stumpfsinn.
Aus: Tätertypen der Postmoderne. In: Kiessstrasse zwanzig Uhr. Frankfurt a.M. 1993.
Persönlichkeitsmaske
Wer seine soziale Geltung über Statusansprüche zu behaupten versucht (und das muß mit Blick auf effektive soziale Kommunikation in gewissem Umfang jedermann tun), der kann sich im Notfall schwer darauf berufen, nur als Persönlichkeit und nackter Adam geschätzt werden zu wollen.
Aus: Statusprobleme deutscher Männer. Vom Prestigeobjekt zur symbolischen Repräsentation. In: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre.
Wickelfüße
Gänsefüße werden gebrüht und abgezogen. Krallen werden abgeschnitten. Die weißen guten Därme von Gänsen werden ausgeschabt, gewaschen, mit Salz und etwas Essig gerieben, wieder gewaschen und ausgeschabt, wieder gewaschen usw. bis sie ganz sauber sind.
Dann werden sie 24 Stunden gewassert. Öfter das Wasser abgießen und frisches Wasser drauf. Dann werden die sauberen Därme um die Füße gewickelt und zusammen mit etwa 3-4 Gänseklein in der Bratpfanne im Backofen mehr geschmort als gebraten. Salz und Majoran nicht vergessen. Wenn alles gar ist, herausnehmen, warmstellen. Das Fett (wenn zu viel) aus der Pfanne ausgießen, mit Wasser den Bratensatz abkochen, mit saurer Sahne und etwas Mehl anrühren un mit Majoran und Thymian und Salz abschmecken.
Aber immerhin – das sei anerkannt – ist doch die Stilisierung eine Form des Widerstands, des Anspruchs auf Distanz. Stil soll und kann immerhin noch signalisieren, daß man fähig ist zu unterscheiden, und daß man durch diese Kraft des Unterscheidens auch fähig sei, den Dingen der Welt eine eigene Bedeutung zuzugestehen. Diese eigenständige Kraft der Bedeutung von Formen und Ideen anzuerkennen und zwar in den von uns geschaffenen wie den natürlich entstandenen Dingen, das könnte heute heißen, einen Stil zu haben.
Aus: Vom Stil des Mannes zum Lifestyle. In: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre.