Sie suchen sich in einen Designergeschäft einen Stuhl. Es gefällt Ihnen auch einer, Sie nehmen ihn mit, aber so richtig zufrieden macht er Sie nicht. Nächste Woche holen Sie sich einen anderen, später noch einen, schließlich sagen Sie: "Das ist alles nicht so richtig, ich habe mich verkauft." Aber man schmeißt ihn nicht weg, dafür ist er zu teuer gewesen. Es klebt schließlich irgendwie auch Design daran, also ein System der Unterscheidung, das bestimmte Leute schätzen. Man bereitet ihn für die nächste Ebene der kulturellen Aufwertung als Müll vor, alle Kultur kommt ja aus dem Müll. Schließlich kaufen Sie noch einen Stuhl, dann noch einen, bis Ihnen plötzlich klar wird: "Die Stühle sind ja nicht dazu da, um mir das Sitzen als eine völlig unbemerkte Tätigkeit, also eine bequeme Situation zu ermöglichen. Wenn der Stuhl so bequem ist, wie ich es beim Kauf erhoffe, dann weiß ich ja gar nicht, dass ich eben gesessen habe." Das moderne Stuhldesign will aber die gegenteilige Wirkung erreichen. Es will Sie darauf verweisen, Ihnen das Sitzen zum Thema zu machen. Das geht nur, indem der Körper irgendwie Schmerzen oder Unbequemlichkeit äußert. Sie werden von Natur wie Kultur aus auf ein System der intensiven Herausforderungen für Unterscheidungskriterien bezogen, dessen Wirksamkeit darin besteht, von Anfang an Ihre ganze Aufmerksamkeit zu wecken. Dieses System hat seine Grundlage in der Evokation unangenehmer Gefühle wie Schmerz, Hässlichkeit, Abstoßendes. Wir thematisieren die Kriterien des Unterscheidens am intensivsten dann, wenn wir es mit Schmerz, mit Unbequemem, Ekelhaftem, Abstoßendem, Hässlichem, oder auch mit der Lüge zu tun haben. Deswegen operiert die ganze Moderne mit Hässlichkeit oder Lüge. Wenn ich durch ein modernes Museum ziehe und ununterbrochen nur das Ungenügen an den künstlerischen Formulierungen empfinde, die da als Kunst vorgegeben wurden, dann entsteht eine solche Sehnsucht nach der Schönheit, dass ich mir schon Figuren im Stile von meinetwegen sogar brekerscher Neo-Neo-Neo-Klassik imaginiere, oder die Raffaelsche Sixtinische Madonna. Und wenn ich dann aber wirklich vor der Sixtinischen Madonna stehe, dann sage ich: "So etwas ekelhaft Kitschiges, das ist ja unmöglich, grauenvoll, schnell wieder zurück zu den Dieter-Roth'schen Dreckhaufen und den Beuys'schen Filzhaufen, denn bei Rafael kann ich bestenfalls einschlafen. Da habe ich überhaupt keine Selbstthematisierung mehr, aber vor Roth und Beuys, vor Filz und Fett und Dreck und Fragment habe ich ununterbrochen den Impuls: Es muss doch etwas Übergeordnetes geben?" Also ich bin ständig am Thema. Das ist der Grund dafür, weswegen wir in der Moderne die Unterscheidungskriterien "ex negativo", also als nicht akzeptierte, als Schmerz bereitende in so hohem Maße schätzen, weil wir uns damit auch von der körperlichen Erfahrung her am intensivsten beschäftigen. Solange mein Körper keine Schmerzsignale gibt, thematisiere ich ihn nicht. Mein Körper als materiell-physisches Substrat meiner Person, meines Ichs, meines Geistes wird mir erst zum Bewusstsein geführt, wenn er Schmerzen verursacht und mich darauf aufmerksam macht, dass ich mich - ihn jetzt thematisierend - zu ihm hinwenden muss, ihn pflegen muss, ihn besser ernähren muss etc.