DISKUS 10/1961
Frankfurter Studentenzeitschrift
Klappentext, bibliografische Angaben oder Entsprechendes
Die Kunst hat sich verweltlicht. Happening-Weekends in Wiesbaden
Solche Versprecher sind um so unentschuldbarer, als sie von Künstlern kommen, die damit nicht das Kreuz der Barbarei unserer Gesellschaft auf sich nehmen, um es aufzuheben und auf/zuheben, sondern um damit der Gesellschaft aufs Haupt zu schlagen und sich so an der Barbarei zu beteiligen. Man wartet doch nur auf solche Gelegenheiten, um lauthals verkünden zu können: "Seht an, auch die Künstler wissen es nicht besser, das haben wir immer schon gewußt."
Über derlei Raffinesse waren offensichtlich die Teilnehmer des Fluxusfestivals in Wiesbaden (mit wenigen Ausnahmen) nicht unterrichtet. An den fünf Weekends des Monats September wollten sie im Saal des städtischen Museums ihrem schlichten und allerdings verräterischen Bekenntnis Ausdruck geben: "Wir sind für alles." Und so war es denn auch: Eier wurden auf einem zuvor rasierten Schädel zerschlagen. Der Täter HIGGINS schien sich nicht ganz im klaren zu sein darüber, was er überhaupt mit den Eiern anfangen sollte, die er nun einmal erstanden hatte. Eins ging ins Auge, nicht mit voller Wucht; es wurde ein wenig in der Hand zerdrückt, dann ans Auge gelegt und laufengelassen. Auf den Sonntagsanzug HIGGINS' machte das auch keinen Effekt. Dafür sprang PAIK ebenfalls in eine Badewanne, ebenfalls im Sonntagsanzug. Und MACIUNAS trug dazu noch einen Stehkragen. Es war fast alles abgestanden, was dort gezeigt wurde, schon gesehen, schon von der Anstrengung des einmal einmalig ins Nichtwerk Gesetzten befreit und deshalb sogar ohne Spannung aufs pure Neue. Selbst Freunde der Akteure, wie der Schreiber dieses Studentenaufsatzes, waren nach zehn Minuten arg gelangweilt, konsterniert über die Unstimmigkeit des Gezeigten, die Nonchalance der Darstellung, das dauernde Gekicher aus Peinlichkeit nicht etwa des Publikums, sondern der Künstler, das Bestreben, die Show möglichst ohne Anstrengungen des Einzelnen über die viel zu vielen Runden zu bringen, den offensichtlichen Zwang, sich etwas einfallen lassen zu müssen, und vor allem darüber, daß die Beteiligten ebenso offensichtlich nur verschwommene Vorstellungen davon hatten, was sie eigentlich aufzeigen wollten. Anders läßt es sich nicht erklären, daß man zum Beispiel einem Klavier zahm mit kleinen Hämmern auf die Füße schlug oder mit Schraubenziehern Saiten löste, anstatt den neuen, bewährten Flügel einer klugen Kreissäge vorzuhalten, die dann in gerader Richtung das Biest durchsägt hätte.
Dabei schienen doch alle Beteiligten zu wissen, daß heutigen Tags mit bloßem Protest und matter Provokation nicht mehr auszurichten ist, was krumm bei uns. Wohingegen in der Zutreibung der Probleme gegen den äußersten Absturz hin noch zu erweisen wäre, wie klein Menschen werden, wenn sie sich krümmen. Leider ist das keine Angelegenheit des Sports am freien Wochenende und damit auch nicht in solchen Festivals zu leisten. Übrigens müßte man dann auf gleicher Ebene auch von einem Eisenbahnfestival der Transportarbeiter sprechen, nur zum nichtssagenden Beispiel.
So jedoch gereichte das Fluxusfestival nur dem Publikum zur Bestätigung seiner lapidaren Meinung über das Wirken der Künste von heute.