Action Teaching Memorial Ground Zero: Im Nullpunkt liegt ein Anfang

Besucherschule von Bazon Brock zum 9/11-Panorama von Yadegar Asisi im Panometer Leipzig

Yadegar Asisi: Panorama „NEW YORK 9/11 – Krieg in Zeiten von Frieden“, Panometer Leipzig, Bild: © Yadegar Asisi, 2022.
Yadegar Asisi: Panorama „NEW YORK 9/11 – Krieg in Zeiten von Frieden“, Panometer Leipzig, Bild: © Yadegar Asisi, 2022.

Es finden zwei Besucherschulen statt, einmal um 9:30 Uhr und einmal um 10 Uhr.

Teilnahme: Kostenfrei bei Erwerb eines Eintrittstickets
Treffpunkt: Auditorium
Dauer: 20 min.

Anmeldung: 
Tel.: +49 341 3555340
Email: service@panometer.de 

https://www.panometer.de/

Termin
09.04.2022, 10:00 Uhr

Veranstaltungsort
Leipzig, Deutschland

Veranstalter
asisi F & E GmbH

Veranstaltungsort
PANOMETER LEIPZIG, Richard-Lehmann-Straße 114, 04275 Leipzig

Twin Towers: Weltgeschichte und Heilsgeschichte

Bemerkenswert, weil offenbar so selbstverständlich: Alle Denkmäler großer Taten der Menschheit stehen zugleich für den Sieg der einen und die Niederlage der anderen. Das gilt auch für das „Memorial Ground Zero“ in New York.

Aber: Sind denn Niederlagen auf gleiche Weise zu würdigen wie Siege?
Die Serben würdigen ihre vernichtende Niederlage im Jahre 1389 im Kampf gegen die Türken als Quelle des heutigen nationalen Selbstbewusstseins.
Auschwitz ist zwar wegen der wissenschaftlichen Tarnung von Mord und Totschlag als politische Zielsetzung unvergleichlich in der Geschichte der Menschen, gerade deshalb stets beschworene Hoffnung, dass dergleichen nie wieder geschehen werde.
Hiroshima hob endgültig die Unterscheidung von Siegern und Besiegten auf. Seither ist die prometheische Scham der allein angemessene Ausdruck menschlicher Selbsterkenntnis.
Ground Zero lässt hoffen, dass die heroische Selbstübergipfelung oder die Verklärung der Getöteten zu Märtyrern nicht mehr, wie seit eintausend Jahren, alle Prätendenten auf den Status des Außerordentlichen, Einmaligen, Großartigen antreiben wird – unabhängig davon, ob die Aktivisten von mörderischer Bosheit oder vom Wahn zur Bekehrung der Menschheit zum ewigen Glück geleitet sind.

Wie sicher glaubten wir uns in diesem Wissen – besonders da 1989 Oberprofessor Francis Fukuyama das Ende der hitlerschen, stalinistischen und anderer totalitärer Erbschaften wissenschaftlich bestätigt hatte.
Mit derart dem Westen schmeichelnden Illusionen war es zu Ende, als am 9. September 2001 vermeintliche Rächer der imperialistischen Weltzerstörung und der generell atheistischen Gottesleugnung die Siegesmale des Endes der Geschichte, die New Yorker Twin Towers zum Einsturz brachten.
Seither ist das geschichtliche Wirken menschlichen Handelns wieder ins Recht gesetzt.
Mit 9/11 behauptete sich die menschliche Willkür erneut gegenüber dem Allmachtswahnsinn des Selbstlaufs der Systeme – vorausgesetzt man unterscheidet in gutem Verständnis allgemeinmenschlicher Aufgeklärtheit zwischen Weltgeschichte und Heilsgeschichte, dem religiös definierten Ziel der Erlösung der Menschheit zum ewigen Frieden.
Heilsgeschichtlich dachte zum Beispiel Innenminister Watts unter Präsident Reagan, wenn er zu bedenken gab, die atomare Selbstauslöschung der Menschheit sei nicht zu fürchten, weil doch das Ende der Welt im jüngsten Gericht vor der Eröffnung des Reiches Gottes notwendig sei.

Warum setzte sich Reagans Innenminister mit dieser allerchristlichen Auffassung nicht durch?
Zwar konnte man seit langem das Resultat eines totalen Atomkriegs, ergänzt durch den Einsatz von BC-Waffen, als Ende der Weltgeschichte in Erwägung ziehen, aber die möglichen Initiatoren eines solchen Endes der Menschenerde mussten sich sagen lassen, dass eine totale Auslöschung alles Menschlichen dennoch nicht garantiert werden könnte.
Das empfanden die Gebieter über die ABC-Waffen als eine Kränkung des so erfinderischen menschlichen Geistes durch möglicherweise in irgendwelchen Urwaldecken übriggebliebene Naturmenschen.
Deshalb fand der ABC-Krieg im schönsten Parallellauf der Erkenntnis sowjetischer und amerikanischer Militärs nicht statt.
Beide Seiten misstrauten einer heilsgeschichtlichen Garantie der Totalauslöschung als Voraussetzung für die Eröffnung des Reichs ewigen göttlichen Friedens.

Die weltgeschichtlichen Aussichten hatten scheinbar endgültig über die heilsgeschichtliche Gewissheit triumphiert. Die menschengemachte Apokalypse fand nicht statt.

Zielten darüber hinaus die Aktionisten von 9/11 darauf, dass sie mit der erfolgreichen Zerstörung des Turms Weltgeschichte auch den Turm Heilsgeschichte zu Fall bringen würden?
Sahen sie bereits die Einheit beider im totalitären Kapitalismus? War ihnen klar, dass die beiden herkulischen Säulen den Weltbau des Kapitalismus tragen?
9/11 konnten sie als unumgänglichen Versuch der Rettung der Welt ansehen, weil der Kapitalismus zur einzig weltweit anerkannten Einheit von Welt und Heil zu werden drohte.
9/11 wollten sie als Initiative eines Optimismus sehen, dagegen anzutreten.

Die Erfolgsaussicht wird schon vom griechischen Begriff der Apokalypse vorgegeben. Denn er meint weder das heils- noch das weltgeschichtliche Ende, auch wenn ihn der Jesus-Jünger Johannes im Exil auf Patmos so naiv verwendete.
Apokalypse meint wörtlich den Vorschein des Endes als Hinwendung auf das Beenden von Handlungen ¬– und vernünftigerweise beginnt jeder Mensch sein Handeln mit dem Blick auf das zu erreichende Ziel.
Alles Beginnen ist bestimmt durch die Absicht, zum Ziel zu kommen: Also liegt im Ende der Anfang. Das heißt Apokalypse und ist demnach frohe Botschaft, weil die Möglichkeit, jederzeit neu zu beginnen, den wahren Optimismus zu begründen vermag: Der wahre Optimismus steht gegen den naiven Kölner Optimismus „Et het noch immer jot jejangen“ und gegen den ruchlosen nietzscheanischen Optimismus „Der brutale Übermensch wird’s regeln.“

Der Großmeister der panoramatischen Geschichtsbildnerei Yadegar Asisi stellt uns mit seinem 9/11-Panorama einen Ort zur Einübung in Handlungsoptimismus durch die Vernunft des Beginnens mit dem Ende zur Verfügung.
Diese Versuchsanlage ist allen bisherigen kinematografischen Illustrationen von apokalyptischen Szenarien überlegen, weil sie im konkreten Fall vor jeglicher Bedeutung für das große Ganze die verschiedensten Handlungen und Haltungen von Menschen gegenüber Heil und Welt sinnfällig werden lässt.
9/11 hatte Konsequenzen – und zwar verheerende, weil die allmachtsgewissen Repräsentanten des Kapitalismus unfähig waren, mit Kräften zu rechnen, die sich ihrer Logik nicht beugen.
In der sogenannten Corona-Krise erleben wir das gleiche mit noch gravierenderen Auswirkungen: statt 4000 Tote 4 Millionen, weil die anmaßliche unternehmerisch-politische Überlegenheitsgewissheit gegenüber dem Selbstlauf der Natur es verbot, mit einer unbeherrschbaren Mutation simpler Lebensformen zu rechnen.
Genau solche Kräfte gilt es gegenwärtig zu antizipieren und ihrem Wirkungspotential nach angemessen einzuschätzen. Dafür ist das Panorama 9/11 der denkbar bestgeeignete Ort.

Zur Besucherschule

Die Besucherschule untersucht über eine normale Ausstellungsführung hinaus die Symbolhaftigkeit und Hintergründe der Ereignisse vom 11. September 2001. Sind wir uns der umfänglichen Symbolhaftigkeit der Anschläge wirklich bewusst? Welche unübersehbaren Parallelen hat das Geschehen zu anderen ikonischen Darstellungen und Denkmustern?

In drei Akten werden Deutungsvorschläge unterbreitet und ein Aussagenzusammenhang dieser weltpolitischen Themen mit dem Werk von Yadegar Asisi vermittelt:

Weltbildbau I – Säulen des Herkules und des Kapitals
Europas Weltblick seit 1520: plus ultra – Wir anerkennen keine Grenzen

Weltgeschichte als Heilsgeschichte: Wir setzen uns über alles hinweg, was sich uns in den Weg stellt – egal, ob es aus mörderischer Bosheit oder zur Beglückung der Menschheit geschieht.

Weltbildbau II – Apokalypse: Das Prinzip Hoffnung
Denn nur mit dem Blick aufs Ende kann man sinnvoll beginnen

„Und ich sah einen andern starken Engel vom Himmel herabkommen, mit Metall bekleidet, und der Regenbogen auf seinem Haupt und sein Antlitz wie die Sonne und seine Füße wie Feuersäulen. Und er hatte in seiner Hand ein Büchlein, das war aufgetan. Und er setzte seinen rechten Fuß auf das Meer und den linken auf die Erde, und er schrie mit großer Stimme, wie ein Löwe brüllt. Und als er schrie, erhoben die sieben Donner ihre Stimme.…“ (Vgl. Offb 10,1–11 LU)

Weltbildbau III – Sieg und Niederlage, Triumph und Demütigung sind eins
Täter sehen sich als Opfer und Opfer sollen Täter sein


Ground Zero lässt hoffen, dass die heroische Selbstübergipfelung der Täter oder die Verklärung der Getöteten zu Märtyrern nicht mehr, wie seit eintausend Jahren, alle Prätendenten auf den Status des Außerordentlichen, Einmaligen, Großartigen antreiben wird.

Ästhetik in der Alltagswelt, SFB 1973, Bild: Twin Towers, New York.
Ästhetik in der Alltagswelt, SFB 1973, Bild: Twin Towers, New York.

Memorial Ground Zero: Im Nullpunkt liegt ein Anfang – Besucherschule zum Panorama „New York 9/11“ von Yadegar Asisi

Memorial Ground Zero: Im Nullpunkt liegt ein Anfang – Besucherschule zum Panorama „New York 9/11“ von Yadegar Asisi

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