Buch Sie stellen mir Fragen, die ich mir nie gestellt habe

Männergespräche

Timo Frasch: Sie stellen mir Fragen, die ich mir nie gestellt habe. Männergespräche. Frankfurt a. M., 2019.
Timo Frasch: Sie stellen mir Fragen, die ich mir nie gestellt habe. Männergespräche. Frankfurt a. M., 2019.

Erschienen
01.01.2019

Autor
Timo Frasch, Bazon Brock u.a.

Verlag
Frankfurter Allgemeine Buch

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

ISBN
978-3-96251-075-6

Umfang
236 Seiten; 21 cm

Einband
Halbgewebe

Seite 54 im Original

Bazon Brock

[Einleitender Text von Timo Frasch]

Von Bazon Brock habe ich das erste Mal über einen ehemaligen Studienfreund gehört, der bei ihm als eine Art wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt war. Brock hatte damals noch eine Professur an der Universität Wuppertal inne, für „Ästhetik und kulturelle Vermittlung“ – das hörte sich, wie ich fand, sehr gut an. Ich begann zu verfolgen, was er so machte – und es gefiel mir. 2009 schrieb ich meinen ersten kleinen Artikel über ihn. Er handelte von einem etwas dubiosen, aber schon deswegen sehr interessanten neuen Studiengang an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe: In vier Semestern sollten die Bürger der Stadt in ihren unterschiedlichen Rollen – etwa als Patienten oder Gläubige – professionalisiert, das heißt: wieder zum Bürgersein ermächtigt werden. So sollten sie den Eliten auf Augenhöhe begegnen können. Ein erster Höhepunkt meiner sich allmählich entwickelnden Beziehung zu Brock folgte mit dem Artikel „Das neue Athen“, der Ende 2012 auf drei Seiten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien. Es ging dabei um die wunderbare und leicht durchgeknallte Gelehrtenszene, die sich in Karlsruhe um Peter Sloterdijk, Peter Weibel und eben Brock entwickelt hatte. An einem Abend waren wir in einer größeren Gruppe in einem italienischen Restaurant. Die Tischgespräche gingen so: Sloterdijk erwähnte beiläufig, dass er gerade eine Biographie über Napoleon III. lese, was Brock zu der Frage veranlasste: „Wann machen Sie das denn noch?“ „Vor dem Frühstück“, antwortete Sloterdijk. Brock: „Ihr Lesepensum ist mir unbegreiflich.“ Er selbst finde es schon „tollkühn“, sagte Brock, lesenderweise von Seite 2 auf Seite 3 zu kommen, woraufhin Sloterdijk sagte, seine Art des Lesens sei „inhalatorisch“. Es schloss sich die Frage an, ob Querlesen eine Beleidigung des Autors sei. Sloterdijk zu Weibel: „Bei dir quietschen die Autoren.“ Weibel erwiderte, er lese nicht quer, er scanne. 20 Minuten brauche er für ein Buch. Sloterdijk habe das nicht geglaubt und ihn deshalb abgefragt, ob er alles verstanden habe. Das sei der Fall gewesen. Sloterdijk bestätigte das. Brock fügte an, dass man die Einverleibung eines Buches mit der Einverleibung einer Mahlzeit vergleichen könne. Das finde sich schon beim Apokalyptiker Johannes und bei Dürer. Auch der Volksspruch „die Weisheit mit Löffeln fressen“ gehöre in diesen Zusammenhang. Daraufhin Sloterdijk: „Ich glaube sehr an die Analogie der Stoffwechsel.“ Bei Sloterdijk habe ich mehrfach wegen eines Interviews angefragt – vergeblich. Warum er nicht wollte, weiß ich nicht.

Vielleicht hat er in meinem Raddatz-Interview gelesen, wie der sich über seine Frisur echauffierte („Ich kenne das Buch von Sloterdijk nicht, ich wünschte mir aber vor allem, er würde mehr auf seine Haare achten.“) – und mich in Verbreiterhaftung genommen. Umso schöner, dass es mit Brock geklappt hat. Er hat eigentlich zu allem was zu sagen. Ich habe mich mit ihm zum Beispiel mal sehr gewinnbringend über das Saarland unterhalten. Fürs Interview mit der F.A.S. entschied ich mich dann aber für ein Thema, das im Zentrum seines Werks steht: die Unmenschlichkeit des Wahrheitsanspruchs. Wir führten das Gespräch in Berlin-Kreuzberg, in seiner „Denkerei“, die auch das „Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand“ beherbergte. Das Interview machte nicht wenig Arbeit, weil Brock, dem einst sein Lateinlehrer den Vornamen Bazon („Schwätzer“, abgeleitet aus dem Griechischen) verpasste, zu langen Ausführungen neigt, die man nur schwer unterbrechen kann. Aber am Ende waren wir beide zufrieden. Wir haben uns danach noch mehrfach getroffen. Unter anderem besuchten wir gemeinsam den Bauern und rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsabgeordneten Michael Billen in der Eifel. Als Brock mein Billen-Porträt „Billen the kid") in der F.A.Z. gelesen hatte, erkannte er in ihm den letzten Menschen – so war „Billen the kid II“ geboren. Zuletzt war ich 2016 bei Brock in Berlin für mein Projekt Ai Eiei. Es ging dabei um die alte Frage, was Kunst sei. 2012 auf der Documenta hatte ich mich von meiner heutigen Frau mit einem aus der Hose hängenden Hoden vor Kunstwerken, sprich: in einem Kunstkontext, fotografieren lassen – ich rechne das meiner Frau bis heute sehr hoch an. Jahre später bin ich mit den Fotos durch die Republik gefahren und habe sie Fachleuten gezeigt: der Nacktkünstlerin Milo Moiré, dem Bildhauer Peter Lenk, dem hessischen Kunstminister Boris Rhein – und eben Brock. Auf meine Frage, ob das Kunst sei oder Schwachsinn, antwortete Brock: „Es ist nicht Schwachsinn, es ist schwach. Man erkennt sofort, dass dahinter keine Idee steckt, es gibt keinen durchdachten Zusammenhang von Physis und Metaphysis.“ Er riet mir, das Ganze zu entsorgen. Ich war daraufhin etwas besorgt, dass er, der große Documenta-Künstler, sich veräppelt vorkommen könnte, was ich nie beabsichtigt hatte. Seine positive Reaktion, als er von diesem Buchprojekt hörte, legte allerdings nahe, dass die Sorge unbegründet war.