Buch Das gute Unendliche in der deutschen Frühromantik

Jacob Burda: Das gute Unendliche in der deutschen Frühromantik. Stuttgart: J.B. Metzler, 2020
Jacob Burda: Das gute Unendliche in der deutschen Frühromantik. Stuttgart: J.B. Metzler, 2020

„Der Autor vertritt in diesem Buch die These, dass die Figur der guten Unendlichkeit der Frühromantik zuzuordnen ist, also Novalis und vor allem Friedrich Schlegel. Diese Sichtweise ist innerhalb der Forschungsliteratur völlig neu, da das ‚gute Unendliche‘ bisher nur mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Verbindung gebracht wurde. Diese neue Art der Deutung eröffnet einen völlig anderen Blick auf die Romantik: Anstelle von Nostalgie, unendlicher und unerfüllter Annäherung steht nun das Harmonische und Versöhnliche im Mittelpunkt. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Ästhetik, die Theologie und das Kunstverständnis, das wir gemeinhin mit der Romantik assoziieren. Hier wird die Romantik nämlich als Versöhnung des Endlichen mit dem Unendlichen (‚gute Unendlichkeit‘) und nicht als Gegensatz dieser beiden (‚schlechte Unendlichkeit‘) verstanden. – Mit einem Geleitwort von Bazon Brock und einem Nachwort von Manfred Frank.“ (Klappentext)

Erscheint auch als Online-Ausgabe: ISBN: 9783476050984

Reihe: Abhandlungen zur Philosophie

Erschienen
01.04.2020

Autor
Burda, Jacob

Verlag
J.B. Metzler, Part of Springer Nature - Springer-Verlag GmbH - J.B. Metzler

Erscheinungsort
Stuttgart, Deutschland

ISBN
978-3-476-05097-7

Umfang
153

Seite IX-XI im Original

Weiße Romantik: Die endlich gute Unendlichkeit im Gelingen von Werken

Geleitwort

Immer noch geistern oder besser spuken die Romantiker durch die deutschen Gemütslandschaften, zum einen als Traumtänzer und Esoteriker, zum anderen als Weltflüchtlinge mit instabiler Psyche. Wer sie immer noch als Gegenfiguren von Modernität, also von Rationalität und Technizität beschwören will, huldigt der schwarzen Romantik wie einem Voodoo-Zauber für zart Beseelte.

Auf das Gegenbild, die weiße Romantik, zielt die Arbeit von Jacob Burda. Er eröffnet eine historisch angemessenere Sicht auf die Romantiker als Träger des Projekts Modernität. Statt sie als Chaoten und Liebhaber des Unbestimmten im üblichen Sinne zu bejubeln, sollten wir endlich anerkennen, dass sie gerade auf die Ordnung im Chaos oder auf den Sinn im angeblich Sinnlosen abzielten, dass sie im Banalen, Säkularen, Alltäglichen das Sakrale manifestiert sahen und vor allem Verfahren und Bedeutung von Metaphysik vollständig umbauten: Aus der Trennung von Absolutem und Relativem, von Endlichem und Unendlichem, von Möglichem und Realem, weil unversöhnbar, entwickelten sie die innerweltliche Transzendenz in der Begriffsfigur der guten Unendlichkeit (Hegel!); das Unendliche und Absolute wurde Bestandteil des Endlichen. Das heißt, die Einheit der Welt läßt sich verstehen als Beziehungsgefüge oder Wechselverhältnis aller in ihr vorkommenden Sachverhalte. Zu diesen gehören vor allem die Leistungen unseres psychischen Apparats, des Vorstellens, Wünschens, Denkens. Sie haben dieselbe Wirkkraft wie die Gesetze der Natur.

Romantiker begründeten Metaphysik im modernen Sinne: Ein Jenseits des Ganzen kann es nicht geben. Mehr als alles zu fordern, wäre Unsinn.

Alle Romantiker waren Kinder Kants! Sie wollten an der Wende zum 19. Jahrhundert vom Weltzentrum Jena aus durch Sprachvergleiche auf neue Gedanken gebracht werden. Für sie alle war „Kritik“ die avancierteste Form des Erkenntnisgewinns und „Zweifel“ die Basis jeglicher Glaubensgewißheit. Demzufolge gehörte die Heroik der Ohnmachtserfahrung (des Sublimen) und das Scheitern der Enkulturation (das meinte „zurück zur Natur“) zum Wesen des Schöpferischen.

Friedrich Schlegel war wohl der erste, der damals bereits dem Widersinn von Werkschaffen und „Nichtigkeit“, dem späteren Nihilismus von Nietzsche bis Benn, Gestalt gab. Diese Gestalt hieß „das Unendliche“; als prinzipielle Unfassbarkeit der Einheit von Beginn und Ende wird sie zur schlechten Unendlichkeit. „Schlecht“, weil sie sich der Beherrschung durch das Denken und das Handeln immer erneut, prinzipiell zu entziehen scheint. Das forderte die jungen Kantianer nachhaltig heraus. Sie machten unmißverständlich klar, dass das Unvorstellbare, das Undenkbare und das Undarstellbare eben als solche vorgestellt, gedacht und dargestellt werden müssen. Die Repräsentation des Unvorstellbaren gibt erst der Unvorstellbarkeit ihren Sinn; der Gedanke des Undenkbaren und die Darstellung des Undarstellbaren müssen gedacht und dargestellt werden, sonst gäbe es keinen Begriff des Undarstellbaren und Undenkbaren. Damit wird logisch zwingend die schlechte Unendlichkeit doch zu einer guten, insofern diese die menschliche Orientierung auf das Unendliche in der Endlichkeit der Welt kommunizierbar, erfahrbar, nützlich werden lässt.

Vor allem Novalis hielt unter den in Jena Versammelten, also der Heroenschaft des Geistes mit Ausnahme von Goethe und Herder, das überragende mathematische Beispiel für diese Operationalisierung des schlechten Unendlichen allen Schwärmern entgegen, die ja seit dem terreur Saint Justs und Robespierres die Monstrosität der schlechten Unendlichkeit, der bedingungslosen Grundlosigkeit als reale Kraft der Zerstörung, als Antrieb aller Revolutionäre diskreditiert hatten. Das Paradox von Schaffen als Zerstören und von Beginnen als Enden forderte die romantische Ironie heraus, wie sie im späteren Existentialismus von Kierkegaard bis Sartre fortwirkte. Das Ernsteste, das Existentiellste realiter zu erfahren, wäre so unsinnig wie das learning by dying. Romantische Ironie schützt gegen die Kapitulation vor der Sinnlosigkeit allen Beginnens, wenn es doch enden muss.

Mit Leibniz’ Infinitesimalrechnung wurde das Unendliche, das Infinite, zur bestimmbaren Größe der Endlichkeit. Leibniz hob also die naive Metaphysik der Entgegensetzung von Endlich und Unendlich auf; mit Leibniz wurde das Unendliche als eine Bestimmungsgröße des Endlichen fassbar und der Budenzauber des Verweises auf das „Jenseits von allem“ blamiert. Wo bis dato im Gottes- oder Weltbegriff die Vorsilbe „meta“ bloße Denkkrämpfe oder Begriffsspielereien getarnt hatte, verwies nun der philologische Sinn der philosophischen Begriffsbildner darauf, dass meta niemals ein Darüberhinaus meinen konnte, sondern einen Zusammenhang herstellte, wie er im Begriff der Metamorphose oder der Metapher heute sinnfällig ist, wohingegen die alte Metaphysik des schlechten Unendlichen jeglichen Sinn eingebüßt hatte.

Dafür arbeitete schon Descartes, als er das Verhältnis von res extensa, der materiell gegebenen Welt, zu den res cogitans, den Gedanken, als ein reflexives Verhältnis darstellte, denn Wissen und Handeln sind ja Formen der Wirkung der res cogitans auf die res extensa, obwohl die res cogitans nur auf der Basis der res extensa (z.B. des Gehirns) möglich ist. Das definiert bis heute den sinnvollen Gebrauch des Begriffs Metaphysik als Transformation, Transfiguration, Translation, Transzendenz. Descartes hat ja programmatisch die aristotelische Vorsilbe „meta“ gegen die lateinische Vorsilbe „trans“ ausgetauscht, um Metaphysik sinnvoll verstehen zu können. Denn „meta“ hieß nun mal leider nur ein Darüberhinaus, „trans“ hingegen bezeichnet das Wechselverhältnis als einen Wechselerweis (F. Schlegel).

Jacob Burda schlägt in seiner Oxforder Dissertation über den Begriff der guten Unendlichkeit vor, die harmlos märchenhafte und spirituell unverbindliche Beschwärmung des Romantischen aufzugeben. In toto waren die Romantiker ja keine Arbeitsverweigerer zugunsten spiritueller Höhenflüge. Sie demonstrierten vielmehr die Realitätstüchtigkeit, das heißt Transformationsenergie der von ihnen präferierten Begriffe: Das gute Unendliche wirkt zum Beispiel konkret in den durchaus endlichen Liebesformen, obwohl der seelenvolle Blick ins Auge des geliebten Gegenübers die Unausschöpflichkeit des Liebens beweist. Sehnsucht wird zur realen, handlungsbestimmenden Macht und Wünschen wird zur sich stets erneuernden Wirkkraft, so weit Sehnsucht und Wunsch nicht durch Erfüllung gestillt, ja gelöscht werden. Denn die Erfüllung der Wünsche und Sehnsüchte ist deren Tod.

Mit der poetischen Kraft der romantischen Denker und Dichter wird das Gelingen von endlichen Werken bei unbegrenzter Schöpferkraft zum Sinn des künstlerischen Daseins. An die Stelle von stumpfsinniger Erfüllung von Normen und Standards tritt das Werkschaffen respektive die pädagogische und soziale Bildungsarbeit. Friedrich Schlegel sprach das in seiner Emphase für Goethes „Wilhelm Meister“ und für die Fichtesche Wissenschaftslehre aus, die ja eine praktikable ethische, also logische Begründung für Schöpfung durch Arbeit bietet. Damit war im Vorgriff auf das Modernitätspathos der Linkshegelianer wie der Befreiungsdynamiker jeder Künstler ein Repräsentant der Moderne, denn Arbeit als gedankliche Einwirkung auf die Gegebenheiten der Welt transformiert den theologischen Schöpfungsbegriff der alten Welt. Die Verweltlichung der Theologie der Schöpfung als Soziologie der Arbeit war derart effektiv, weil sie das Gelingen der Arbeitsvorhaben über alle prinzipielle Kritik an der Möglichkeit der Vollendung erhob. Das ließ die kantischen Kritiken hinter sich.

Die Romantiker sind, so Burdas Fazit, nicht Gegenweltler oder gar Hinterwäldler der Moderne, sondern deren Avantgarde, jedenfalls so weit die weltwandelnde Kraft von Gedanken, Vorstellungen und Wünsche bewiesen werden soll.

siehe auch: