Radiobeitrag Deutschlandradio Kultur

Erschienen
03.03.2006

Station
Deutschlandradio Kultur

Sendung
Fazit

70 – und immer noch Kommunikationskasper

Bazon Brocks „Lustmarsch durchs Theoriegelände“

Von Johannes Halder

Zusammenfassung der Sendung:

„Er ist ein Entertainer. Wenn er früher einen Vortrag hielt (und Brocks Vorträge waren immer grandiose Showspektakel), konnte es vorkommen, dass er sich rücklings auf einen mitgebrachten Kuschelteppich warf und strampelnd mit Teddybär und Ball hantierte.

„Action teaching“ nannte der gelernte Dramaturg solche Aufklärungsakrobatik, mit der er neben seiner bewundernswerten geistigen Gelenkigkeit auch seine körperliche Konstitution unter Beweis stellte.

Jetzt wird er 70, aber Bazon Brock wird nicht müde. Über elf Stationen tingelt er mit seinen Thesen auf seiner Jubiläumstournee von Karlsruhe über Hamburg, Leipzig und Berlin bis nach Graz und Zürich und macht dabei noch immer gerne den Kommunikationskasper. Ein Marathon, ein Kreuzzug, und Brock trägt eine böse Botschaft im Gepäck, prophezeit er doch nichts weniger als den Untergang des Abendlands.

„Freiheit, Individualität, das geht alles mit Europa selber zu Ende. Die andere Welt übernimmt es, macht etwas ganz anderes daraus, vielleicht drei verschiedene Versionen, eine chinesische Version, eine muslimische Version, eine hinduistische Version. Das ist sicher. Und vielleicht werden die Amerikaner sich noch auf irgendeine Weise zu einer Art multikulturalistischer Version verstehen können. Aber mehr bleibt nicht übrig.“

Deutschland, so Brocks düstere Prognose, ist als erstes dran, und das Schlimme ist, womöglich hat er sogar Recht.

„Deutschland geht als erstes europäisches Land zugrunde oder ist schon abgeschafft, weil es keinen mehr gibt, der in Deutschland bereit wäre, sagen zu können, was heißt das: Ich bin ein Deutscher. Niemand mehr.“

Also, folgert Brock und nennt den Vorgang eine „schwere Entdeutschung“, sollten wir uns schleunigst daranmachen, unsere großen Gräber zu bauen, um wenigstens unsere geschichtliche Würde zu bewahren. Er selbst geht mit seinem Beispiel voran und breitet an jedem der elf Schauplätze die Sammlung seiner eigenen Grabbeigaben aus auf einem so genannten Theoriegelände, durch das er an jedem Ort zehn Tage lang persönlich führt und dabei so etwas wie eine Bilanz seines Lebens und seiner Lehre zieht. Zweimal täglich tut er sich das an bis Ende November und jeweils bis in die Nacht hinein.

„Da bin ich jeden Tag eben sechs Stunden hier tätig.“

Inmitten einer Art Wunderkammer entwickelt der Professor hier seine Thesen einer kontrafaktischen Geschichtsschreibung, wettert gegen Politiker und Wirtschaftsführer, gegen Vergessen und Verblendung und schleust sein Publikum durch einen Parcours der Schaulust: eine Rakete, ein riesiger Laufstall, Möbelstücke, Gemälde von Neo Rauch, Kirchengestühl, Grabplatten oder ein Altar mit den Folterwerkzeugen Christi – mit solchen Exponaten zelebriert er seine Liturgie des Untergangs und lässt die Reizbegriffe wie Donnerschläge niedersausen: „Memorialmiliz“, „Selbstverwirklichungsbohème“, „Opferolympiaden“, „Gottsucherbanden“.

Brocks Vortrag funktioniert dann etwa so: In einem Regal steht ein Paar schwarzer Militärstiefel aus dem zweiten Weltkrieg, behängt mit kleinen Glöckchen, und Brock liefert die Geschichte dazu. Der esoterisch angehauchte SS-Chef Himmler, sagt er, habe für seine Truppe einst die Losung ausgegeben von der buddhistischen Achtung vor den Geschöpfen der Natur.

„SS-Männer würdigen alles Lebendige, sogar kleine Käfer und Tierchen, indem sie sie davor schützen, sinnlos zertreten zu werden. Deswegen muss eigentlich ein SS-Mann wie ein Buddhist kleine Glöckchen an seine Stiefel machen, um die Getiere des Lebens zu warnen: Jetzt kommen wir, bitte zur Seite treten, damit nichts geschieht! Dieser SS-Buddhismus ist historisch eindeutig begründet. Wie kommt es jetzt dazu, dass jemand, der als SS-Kommandant die Tierchen vor dem Marschtritt seiner Kohorten warnen will, dazu, gleichzeitig systematisch Menschenleben für unwürdig oder für vernichtenswürdig hält, woraus sich dann ergibt, was da eigentlich für Begrifflichkeiten vorherrschen.“

Die bimmelnden Stiefel, ein Kunstwerk Brocks, der sich zwar ein „Künstler ohne Werk“ nennt, aber derlei Memorabilien auch im Museumsshop verkaufen lässt. Darin gleicht Bazon Brock ein bisschen Joseph Beuys, seinem ehemaligen Kampfgefährten, der die Erlösung der Politik durch die Kunst predigte und damit selbst bei den Grünen scheiterte:

„Das erste, was sie taten, war selbst ihn, der ja viel prominenter war als ich, rauszuschmeißen. Da sehen Sie, wohin es führt, wenn Künstler sich um die Politik kümmern.“

Trotzdem: Brock ist brillant. Sein Faktenwissen, seine polemischen Gedankenschlüsse, seine verblüffenden Analysen und Beweise, seine Eloquenz. Die Frage schließlich, die er an uns stellt: Was würden wir mitnehmen als unsere Grabbeigaben? Mit welchen Dingen, die uns repräsentieren, würden wir uns verabschieden? Die Antwort, die Auswahl, würde Aufschluss geben über unsere ganze Lebenshaltung – für manchen gewiss eine bestürzende Bilanz.

2007 will Brock in Berlin eine nationale Kampagne starten, um dem deutschen Volk vor Augen zu führen, was es verlieren wird. Aber natürlich, das weiß Brock schon jetzt, wird dieses Volk die Augen verschließen und lieber so weitermachen wie bisher – in Politik und Wirtschaft, in Alltag und Kultur.

Aber ein bisschen Sand will er wenigstens ins Getriebe gestreut haben.

Service:
Die Aussstellung „Lustmarsch durchs Theoriegelände“ im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM) ist Auftakt einer Reihe durch elf Städte zum 70. Geburtstag Brocks am 2. Juni 2006.“

Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/70-und-immer-noch-kommunikationskasper.1013.de.html?dram:article_id=165826

siehe auch: