Vortrag / Rede Denkerei mobil: Über die Einheit von Glauben und Wissen

Wissenschaft wird produktiv durch Kritik, Glaube durch Zweifel

Europa fällt? Europa bleibt!, Bild: Gestaltung: QART, Hamburg. + 1 Bild
Europa fällt? Europa bleibt!, Bild: Gestaltung: QART, Hamburg.

Im Rahmen der Reihe „Europa fällt? Europa bleibt!“

Informationen und Termine zur Reihe „Europa fällt? Europa bleibt!“ unter: www.denkerei-berlin.de/kalender/?id=1336

Entgegen heute allgemeiner Annahme gehören Glauben und Wissen nicht unterschiedlichen Verfahren der Vergewisserung an, sondern bilden eine notwendige Einheit der gedanklichen Arbeit. Es gilt seit frühmittelalterlichen Zeiten, dass man wissen muss, was man glaubt, wenn man den Glauben bekennen soll, weil Glaube ohne dessen Bekenntnis nicht erfahrbar und bestimmbar ist. Auch muss man wissen, dass man gerade in der Wissenschaft auf Glauben angewiesen ist. Die Mathematik steht und fällt mit ihrer Axiomatik, den als unhintergehbar gesetzten Grundannahmen, also mit den sie begründenden Glaubensakten. Jede normalwissenschaftliche Arbeit beginnt mit der Aufstellung von Hypothesen als Form des Dafürhaltens, also des Glaubens. Wissenschaftlich erfolgreich arbeitet, wer solche Hypothesen widerlegt und damit Unsicherheit des Wissens verringert.

Es wird ständig behauptet, Glaubensgewissheit sei eine Form unmittelbarer Weltgewissheit, die nicht über Wissen generiert wird, und man könne diese Gewissheit weder durch Kritik widerlegen noch durch Zweifel erschüttern; sie entspringe vielmehr tiefster Offenbarung durch unmittelbares Erleben. Diese von theologiefreien Spiritualgemeinschaften verbreitete Auffassung widerlegt sich ständig selber in zweifacher Hinsicht: Sie wird ja durch Wissensübertragung vermittelt mit den herkömmlichen Techniken der Begriffsbildung im Lehren und Lernen; sie widerlegt sich zweitens durch die Konfrontation (kognitive Dissonanz) von Augenschein/Evidenzerleben und Realitätszumutung im Scheitern auf den verschiedensten Ebenen. Milliarden von Menschen sprechen und sprachen vom Auf- und Untergang der Sonne, obwohl es die in der Realität nicht gibt, sondern Sprachmetaphorik bleibt.

Die Einheit von Glauben und Wissen wird vor allem in methodischen Vorgehensweisen sichtbar: Wissenschaft wird produktiv durch Kritik, Glaube durch Zweifel. Wer nicht zweifelt, kann auch nicht glauben, wer zu radikaler Kritik nicht fähig ist, kann nicht Wissenschaftler sein. Das gilt in jedem Fall seit Luthers und Descartes’ Zeiten.

Denkerei mobil zu Gast im Arts Club Berlin im Verein Berliner Künstler: www.vbk-art.de

Einlass ab 19 Uhr, Eintritt frei.

Termin
09.03.2020, 19:30 Uhr

Veranstaltungsort
Berlin, Deutschland

Veranstalter
Denkerei in Kooperation mit dem Verein Berliner Künstler

Veranstaltungsort
Galerie Verein Berliner Künstler, Schöneberger Ufer 57, 10785 Berlin