Buch Palast der Republik

Utopie, Inspiration, Politikum

Palast der Republik. Utopie, Inspiration und Politikum, Bild: Halle/Saale: Mitteldeutscher Verlag, 2019.
Palast der Republik. Utopie, Inspiration und Politikum, Bild: Halle/Saale: Mitteldeutscher Verlag, 2019.

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellungen

Palast der Republik. Utopie, Inspiration, Politikum
Kunsthalle Rostock, 1. Juni bis 13. Oktober 2019

Palast Satellit
KVOST-Kunstverein Ost (in Kooperation mit der Kunsthalle Rostock), Berlin, 20. Juni bis 28. Juli 2019

Klappentext: Vom Palast für die Republik zum Volkspalast

Der Volksmund nannte ihn nach dem damaligen Staatschef »Erichs Lampenladen« oder auch »Last der Republik«. Während seiner kurzen Nutzungsdauer ab 1976 als Regierungsgebäude mit dem Saal der Volkskammer und zugleich zentrales Kulturhaus der DDR-Hauptstadt war der »Palast der Republik« ein Begriff. Nach dem Ende der DDR wurde er von der Politik dem Abriss anheimgegeben, aber noch einige Zeit für künstlerische Aktivitäten genutzt; er polarisierte bis zuletzt.

Die Ausstellung »Palast der Repu­blik – Utopie, Inspiration, Politikum« in der Kunsthalle Rostock zeigt Ausstattungsstücke und Kunstwerke, die sich mit dem oft kontrovers diskutierten Gebäude auseinandersetzen. Die Besucher sind eingeladen, sich zu erinnern oder den »Palast« und seine vielen Facetten neu zu entdecken. Die Kunst und das Design, die ihn einst zum Strahlen brachten, werden durch die Blicke diverser Künstler auf den »Palast der Repu­blik« erweitert und zeigen ihn als Inspirationsquelle bis in die Gegenwart.

Begleitend zur Ausstellung erscheint dieser reich bebilderte Katalog. Mit Texten von Bazon Brock, Irina Liebmann, Elke Neumann, Olaf Reis, Peter Richter und Matthias Weghaupt.

Erschienen
2018

Herausgeber
Kunsthalle Rostock | Neumann, Elke

Verlag
Mitteldeutscher Verlag

Erscheinungsort
Halle/Saale, Deutschland

ISBN
978-3-96311-187-7

Umfang
230 × 320 mm, 232 S., s/w- u. Farbabb.

Einband
KlBr.

Seite 158-160 im Original

Der Fall kam vor dem Hochmut

Über den Paarlauf von Deutschland-Ost und -West

Gerade das Leben im Treibhaus des Kapitalismus, genannt Bundesrepublik, hatte die ums Lernen aus der Geschichte Bemühten, von der späten Geburt Begnadeten vor allem eines gelehrt: Nach dem Kriege wurde unter dem Programmnamen Wiederaufbau und Modernisierung mehr städtischer Lebensraum, mehr Bausubstanz vernichtet als durch Kriegseinwirkung. Zum Teil hatten die Herren der Modernisierung durch Wiederaufbau Schumpeters Programm der Einheit von Kapitalismus und Demokratie (1942) weit vor Kriegsende als das ihre deklariert: Die nationalsozialistischen Nutznießer des Krieges haben den Bombern der Alliierten die Aufgabe zugewiesen, die deutschen Städte von ihren mittelalterlichen Altlastbauten und Strukturen zu befreien. So begrüßten Pathetiker der Erneuerung ausdrücklich die Zerstörung der Altstadt Kassels, die ihnen die Mühe ersparen würde, heimatfixierte Kleinbürger von der Aufgabe ihrer Lebensumgebungen zugunsten der Modernisierung zu überzeugen.

Dieses wahre Geschenk des Himmels musste natürlich ideologisch verbrämt werden, da die Nazis offiziell ja mit Blut und Boden, Heimat und Erbhofpathetik ihr Rettungskonzept des deutschen Wesens propagierten. Geradezu perfide manifestierte sich diese Ideologie im Vorwurf gegen die DDR-Oberen, zum Beispiel mit der Sprengung des Berliner Schlosses, mutwillig das deutsche Erbe aufzugeben. Perfide waren derartige Vorwürfe deshalb, weil beinahe zeitgleich mit dem Berliner im Westen das Braunschweiger Schloss abgerissen wurde. Dieser Parallelismus im Modernisierungskonzept von Ost und West hätte nach der Wiedervereinigung eine entsprechend satirisch-karikaturistische, sprich aufklärerische Basis der Gemeinsamkeit ergeben können. Zu der Parallelentwicklung der Moderne in Ost und West gehörten etwa auch die Freikörperkulturbewegung im Osten und die sexuelle Befreiung im Westen oder die äußerste Geringschätzung der Bauhaus-Programmatik in beiden Staaten. Zwar gab es im Westen mehr Bauhaus-Bekenntnisse, aber der Einfluss auf Baukultur und Gestaltung war auch hier kaum höher als im Osten – wie Heinrich Klotz unter dem Stichwort Bauherrenfunktionalismus statt Bauhausfunktionalismus nachwies (siehe Bazon Brock: Vorwärts und Funktionalismus. Die universale Moderne und das Design. Mit Heinrich Klotz im Reiche Tecta, in: Re-Visionen der Moderne: Begegnungen mit Heinrich Klotz, hg. von Judith Rottenburg, Paderborn/München 2010. S. 135-141. Entsprechend kritisch äußert sich Klotz etwa in: Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart 1960-1980, 3. Aufl., Braunschweig/Wiesbaden 1987, siehe z.B. das Kap. „Eklektizismus. Eine Alternative zum Funktionalismus?", S. 47 ff.)

Die Frau des baden-württembergischen Ministerpräsidenten sorgte ebenso bildungslos unbedenklich für die Schließung des Bauhausnachfolgers HfG Ulm wie Hilde Benjamin in der DDR ihre Empörung über bürgerlichen Formalismus der Avantgarden zur Schau stellte. Die peinlichste aller Parallelen der Modernisierung in Ost und West waren die Kaninchenstall-Architekturen der Neubauviertel in Hamburg, Köln oder West-Berlin zu denen in Ost-Berlin oder Jena. In der DDR gab es keine Notwendigkeit, möglichst hohe Renditen aus der Bebauung von Boden herauszuholen – was im Westen ständig als Entschuldigung für die menschenverachtende Massenmenschhaltung angeführt wurde. Die Ideologie der Modernisierung war so stark, dass es nicht mehr auf eine Unterscheidung der Konzepte in Ost und West, sondern nur noch auf eine überbietungs- oder gar Auslöschungskonkurrenz ankam.

Mit Verwunderung reagieren Pseudomodernisten im Westen auf die Tatsache, dass heute im Osten viele Leute das Leben in den aus Fertigteilen zusammengekloppten Vertikallagern freiwillig anstreben, und das nicht nur der gar nicht so viel billigeren Mieten wegen. Das Entsprechende beobachtet man im Westen kopfschüttelnd seit langem, wenn mit ziemlich kostspieligen Häusern auf Rädern massenhaft horizontale Lager der Camper in unmittelbarer Autobahnnähe angesteuert werden, um Ferien zu genießen, Ferien von Verkehrs- und Medienlärm, Arbeitsstress und sozialer Enge, indem man das Leben in diesen Misslichkeiten betont genießt. Was am Arbeitsplatz als unmenschlich gilt und als Bedrohung der Gesundheit, wird in den Ferien als lebenssteigernd aufgesucht.

Was sagt das? Alle die hübschen Konstrukte der Gegensätze von Ost und West sind in erster Linie Beweise für die Normativität des Kontrafaktischen, also für die handlungsanleitenden Ideologien, wobei es nicht auf die Unterschiede der Ideologien ankommt, sondern auf die Breite und Tiefe der Wirkung der Ideologie, auf das soziale und individuelle Handeln.

Tempel der Lebens- und Todesschule

Die Wirkmacht der Ideologie manifestierte sich in jüngster Zeit vor allem an der Nachwende-Frage: „Was tun mit dem Palast der Republik?" Dieselben Leute, die Ulbrichts Abrissbefehle für Berlin und Potsdam als barbarische Akte der Auslöschung von Geschichte geißelten, forderten bedenkenlos die Beseitigung des Palastes der Republik. Auf die Sinnwidrigkeit von Abreißen (Palast) als Protest gegen Abreißen (Schlösser) hingewiesen, bestanden sie auf dem Vorrecht des historisch Älteren. Eine groteske Vorstellung, die damals durch den bitteren Witz markiert wurde, man solle der Würde des historisch Früheren wegen Deutschland in die Zeit Karls des Großen zurückbauen. Der Logik nach hätten gerade jene auf der Erhaltung des Palastes der Republik bestehen müssen, die ihn als Ikone des Untergangs des Sozialismus glaubten verstehen zu müssen. Unterbewusst war aber diesen Triumphalisten klar, dass der Palast der Republik im Inneren wie im Äußeren in viel zu hohem Maße den westlichen Kaufhäusern und Massentourismusherbergen entsprach und deswegen nicht geeignet war, den Sieg des freiheitlichen Westens über den Totalitarismus des Ostens auf alle Zeit zu manifestieren.

Ich versuchte damals, einen Vermittlungsvorschlag zu lancieren, der aber, soweit ich weiß, keine Beachtung außer durch mich selbst fand. Ich bin nach wie vor von dem Vorschlag überzeugt. Denn wenn es beiden Seiten, den östlichen wie den westlichen Abreißern als Abriss-Gegnern, erklärtermaßen um Geschichte als Versuch zur Erzwingung von Dauer geht, dann wäre der Palast der Republik im historischen wie im aktuellen Sinne dem Anspruch auf Ewigkeit gerecht geworden, wenn man ihn, so wie er da war, mit weniger Aufwand als benötigt würde, um einen neuen Friedhof anzulegen, in einen Palast des Gedenkens, also in einen Tempel der Allgegenwart der Toten, in einen Friedhof verwandelt hätte. (Mein damaliger Vorschlag ist in einem Beitrag für den TV-Sender SAT1 aufgezeichnet worden.)

Alle historisch übermittelten Vorstellungen von Geschichte als Reich der Toten, von Helden, Arbeitern, Bauern, Widerstandskämpfern, Kindsbettopfern, Verhungerten, Geschundenen, Gefangenen, wurden im Palast der Republik auf sprechendste Weise, überzeugend, ohne zu überwältigen, repräsentiert. „Erichs Lampenladen“ verwies auf den „gestirnten Himmel über uns“, wie ihn zum Beispiel Schinkel für Zauberflöten-Inszenierungen und Dorfkirchen entwarf. Die monumentalen Gemälde der Hauptmeister volkseigener Kunstseligkeit im Foyer präsentierten die gesamte Ikonografie der Paradiese und Toteninseln der Vorstellungs- wie der Anschauungswelt; die feierlichen Treppenaufgänge erinnerten an die Läuterungswege der Seelen im Aufstieg nach Jenseits; kurz, der SAT1-Beitrag zeigt, dass der Palast der Republik ein weltweit einmaliges Monument der Vergangenheit als der Zeitform geworden wäre, die nicht vergeht. Denn verginge die Vergangenheit, so hätten wir ja keine. Aber genau darauf kommt es dem Machtapparat der tatsächlich schöpferischen Zerstörung durch Gewalt des Kapitals ja gerade an: Nur Ruinen bleiben ewig, weshalb wir seit der westlichen Aufklärung ganz neue Ruinen in die Landschaftsgärten bauen und damit die ewige Vergangenheit in der Gegenwart ansprechen. Alles Große ist nur Ruine seiner eigenen Zukunftsträchtigkeit; den Pathetikern der politischen Korrektheit sei gesagt, dass die Ruinentheorie keine speer-hitlersche Erfindung ist, sondern der jederzeit nachvollziehbaren Beobachtung entspricht, dass wir von historischen Reichen der Römer und Griechen, Ägypter und Hethiter, Babylonier und Perser nur etwas wissen, weil die Ruinen allein uns ihre geschichtliche Arbeit beweisen. Der Palast der Republik war von vornherein die schönste Neubauruine der Welt, mit der die auf Abriss nach dreißig Jahren in den Boden gerammten Archiskulpturen westlicher Provenienz schon deswegen nicht konkurrieren können, weil sie weniger verfallsanfällig und damit weniger geschichtsträchtig sind. Immerhin siegt jetzt doch der Palast als Monument ewiger Vergangenheit über das vermeintlich wieder aufgebaute Schloss. Ebenso wenig wie die Wiedervereinigung eine Wiederherstellung Deutschlands im Zustand von 1948/49 erreichte, ist der Wiederaufbau des Schlosses tatsächlich die Reinkarnation des historischen Baus. Jeder halbwegs geschulte Blick identifiziert den Bau als bloße Prätention, eine Theaterkulisse, kurz, als monumentale Falschheit. Aber das ostentativ Falsche beglaubigt ja einen Wahrheitsanspruch. Heute nennt man das Behaupten des Falschen als wahrheitsdienlich einen Fake. Das Berliner Schloss ist in seiner skandalösen Behauptung von geschichtlicher Authentizität der größte, das heißt teuerste Fake der deutschen Nachkriegskulturgeschichte. Werden wir uns von dieser Falschheit den Verweis auf die Wahrheit gefallen lassen, die an Ort und Stelle heute gerade durch die geschichtsvergessene Barbarei der Wiedergänger von Wiederaufbau und Wiedervereinigung und Wiedergutmachung, also von der Negation des Palastes der Republik ausgeht? Übrigens: Der Wiederaufbau des Braunschweiger Schlosses durch Schlaumeier der zerstörerischen Schöpfung ist ein Fake besonderer Klasse geworden. Außen Schlossfassadensimulation, innen Kaufhaus der eher volkstümlichen, also billigen Art. Die nackte Wahrheit ist nicht auszuhalten, aber zum Kotzen.

siehe auch: