Buch Aktuelle Tendenzen

Verlaufslinien der Kunst- und Medientheorie

Felix Urban (Hg.) Aktuelle Tendenzen, Bild: Baden-Baden: Tectum, 2019.
Felix Urban (Hg.) Aktuelle Tendenzen, Bild: Baden-Baden: Tectum, 2019.

Wenn wir über aktuelle Tendenzen sprechen, wo fängt dieses Gespräch an und wo hört es auf? Müssen wir bestimmte Themen ausschließen oder sollten wir andere noch miteinbeziehen? Wann befinden wir uns bei einem solchen Gespräch innerhalb einer kanonisierten Debatte, wann befinden wir uns im Bereich des Spekulativen?

Das Verhandeln solcher Gegensätze ist allgegenwärtig. In besonderer Weise wird es der Kunst zugeschrieben. Sie erlaube, so heißt es häufig, das Ausloten von Grenzen. Doch ist das wirklich so? Sind künstlerisches Handeln und die vermuteten Grenzen wirklich immer so eindeutig? Und definiert ein solches Ausloten, sei es in der Kunst oder Wissenschaft, wirklich das, was Gegenwart ausmacht? Oder ist es nicht doch so, dass sich erst mit der Zeit bestimmte Verlaufslinien abzeichnen?

Die Autoren dieses Buches diskutieren Tendenzen. Sie gehen in die Vergangenheit und verweisen auf die Zukunft. Sie stellen Bezüge und Abgrenzungen her mit Beiträgen aus der Kunst- und Medientheorie.
Dieses Buch ist Dr. habil. Arthur Engelbert gewidmet, der seit über drei Jahrzehnten im Bereich der zeitgenössischen Kunst- und Medientheorie arbeitet und wirkt.

Mit Beiträgen von
Claus Baldus, Peter Bexte, Wolf Borchers, Tomke Braun, Bazon Brock, Timo Brüsewitz, Mauro Cappotto, Christo Doherty, Stefan Eikermann, Nirto Karsten Fischer, Raanan Gabay, Winfried Gerling, Detlef Günther, Celine Keller, Anna Maria Maier, Nina Meinhold, Clara Meister, Ulrike Riemann, Daniela Schmidtke, Sebastian Schmitt, Kay Schönherr, Hartmut Schröter, Semjon H. N. Semjon, Eckhardt Siepmann, Achim Trautvetter und Felix Urban.

Erschienen
2018

Herausgeber
Urban, Felix

Verlag
Tectum Verlag

Erscheinungsort
Baden-Baden, Deutschland

ISBN
978-3-8288-3995-3

Umfang
290 S.

Einband
Broschiert

Seite 266 im Original

Aus den Verliesen der segensreichen Bürokratie:

Engelbert habilitiert sich bei Bazon Brock in Wuppertal

In dem ewigen Kampf zwischen Gedächtnis und Erinnerung erhalten sich Motivationen und Interpretationen, die uns durch den Fortgang des Lebens entfallen sind oder entfremdet wurden. Von Zeit zu Zeit hat man es nötig, an dieses fremde Selbst erinnert zu werden. Mit welcher Euphorie arbeitete Engelbert vor 20 Jahren an den Wirkungspotentialen der neuen Informationstechnologien für die Kunst- und Kulturpädagogik! Dieser Enthusiasmus ergriff uns alle. Wir glaubten, durch die neuen Medien unabhängig zu werden von Verlagen, Theatern und Hochschulen, weil sie uns die Möglichkeit in Aussicht stellten, völlig autonom unsere Gedanken wirksam werden zu lassen. Es ist mehr als ein Treppenwitz einer Generationsgeschichte, dass wir tatsächlich alle zu Produzenten, zu Autoren, zu Denkern und Sendern werden konnten und gerade deshalb nicht mehr dazu kamen, als Rezipienten, also als Leser, als Konsumenten, als Zuhörer und Zuschauer erst die Sinnhaftigkeit des Produzierens und Sendens zu garantieren.

Heute ist auch Engelbert auf die Seite der Professionalisierung von Lesern, Zuschauern, Betrachtern und Konsumenten konzentriert, weil eben ohne deren Tätigkeit das Vollstellen der Welt mit großartigen Neuerungen sich nur noch als Vermüllung bemerkbar macht. Wir wissen, dass dem ungeheuer produktiven In-die-Welt-Setzen von Artefakten als Träger gedanklicher Konzepte möglichst gleichgewichtig das Aus-der-Welt-Bringen durch Konsumieren und die Beseitigung von Müll entsprechen muss.

Eine geradezu geniale Form der Müllentsorgung im Bereich des künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeitens sind eben die Archive, Bibliotheken und Museen. Die Hoffnung, dass wir durch die IT-Revolution der Sorgen um die Beseitigung der Reste durch digitale Speicherung enthoben würden, hat sich als Illusion erwiesen. Selbst die NASA kann ihre Daten aus der großen Zeit der Raumfahrt in den 1960er/1970er Jahren nicht mehr lesen – mit dem Resultat, dass man sich bei einer heutigen Mondlandung nicht mehr auf die Daten von damals stützen könnte.

Mit großer Wahrscheinlichkeit müssen wir davon ausgehen, dass unsere gegenwärtigen Verewigungsversuche schon in einer Generation verloren sein werden. Die ältesten Speichertechniken der Metall-, Stein-, und Papierbearbeitung bleiben bis auf weiteres die einzigen Garanten, die Distanz zwischen heutiger Erinnerungsarbeit und gestrigem Gedächtnis der Fakten produktiv werden zu lassen.

Wir möchten uns gerne dem Engelbertschen Treppenbau zur Überbrückung des Chorismos, des Gap, des Abgrunds zwischen Gedächtnis der Fakten und produktiver Erinnerung anvertrauen.

[Abb.: Briefe und Gutachten aus dem Dissertationsverfahren]