Buch Mischa Kuball: Platons Spiegel und die Aktualität des Höhlengleichnisses

Mischa Kuball: Platons Spiegel und die Aktualität des Höhlengleichnisses
Mischa Kuball: Platons Spiegel und die Aktualität des Höhlengleichnisses

angeregt durch Projektionen von Mischa Kuball ; Reader anlässlich der fortlaufenden Ausstellungstour von Mischa Kuball. Platon's Mirror, ZKM, Museum für Neue Kunst, Karlsruhe ... Forum Box, Helsinki

Das Buch ist auch in englischer Sprache erhältlich unter dem Titel "Platons Mirror and the actuality of the cave allegory" (Cologne 2012).

Erschienen
2011

Herausgeber
Andreas Beitin

Verlag
König

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

Schatten werfen Schatten

Kuballs experimentelle Öffnung der Platonischen Höhle – zwischen therapeutischem Dark room und Kosmonautenkapsel

Die platonischen Höhlen jüngerer Baureihe sind (historisch-chronologisch) das Bergwerk, das U-Boot auf Tauchfahrt, die Nachtflugmaschine, der Autopilot-gesteuerte und der Instrumentenflug, das Raumschiff, das Netzwerk der kommunizierenden Computer. Ihnen allen ist gemeinsam ein nur noch durch Anschauung von Instrumenten gegebener Bezug auf die Umwelt der Systeme, ohne daß den Bewohnern der Höhlen, den Operateuren und Passagieren noch eine Orientierung lenkende Vorstellung der Außenwelt möglich und nötig wäre.

Die Vermittlung der Umwelt ins geschlossene System spaltet die naiv genommene Einheit von Anschauung und Vorstellung, mit der wir unsere natürliche Orientierung in Lebensräumen bewältigen. Für die Einheit von Anschauung und Vorstellung hat sich der Begriff Black Box bewährt.
So faßten wir bisher das menschliche Hirn als Dunkelkammer auf, in der „irgendwie“ die sichtbare Welt mit der „Vorstellung“ ihrer unsichtbaren Gesetzmäßigkeiten korreliert wurde - mit dem praktischen Resultat, daß die Welt tatsächlich in dem gegeben schien, was wir von ihr wahrnehmen. Die angeschaute Welt und die vorgestellte gingen nahtlos ineinander über.

Die Vorstellung war die Fortsetzung der Anschauung im Bereich des Unanschaulichen. Dieser anthropozentrische Standpunkt ermöglichte es, die Götter oder den Schöpfergott, die Totenreiche oder Paradiese vorzustellen, wie wir die Welt des Sichtbaren anschauen. Zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Innen und Außen vermittelte die Black Box den geheimnisvoll dunklen Übergang zwischen diskreten und kontinuierlichen Zuständen, zwischen unbelebt und belebt, zwischen Ja und Nein.
Wenn man in die Black Box eindringen will, um zu erhellen, was die Übergänge ausmacht, faßt man sie als platonische Höhle auf und gerät in jene Schwierigkeiten, Anschauung und Vorstellung noch zu vermitteln, die offenbar Platons Gleichnis so faszinierend erscheinen läßt.

Weil Anschauung und Vorstellung der platonischen Höhle nicht zur Übereinstimmung gebracht werden können, sind die bildenden Künstler, die Experten für eine bildliche Veranschaulichung von Vorstellungen, allesamt daran gescheitert, dieses attraktive Gleichnis in Bildwerke zu übersetzen. Die wenigen überlieferten Versuche (nicht mehr als ein halbes Dutzend aus den zurückliegenden fünf Jahrhunderten) fielen - wie Jeannot Simmen gezeigt hat - herzlich unbedarft aus.

Das gleiche gilt für die Darstellung heutiger Versuche, der operationalen Anschaulichkeit des Big Bang (dem Urknall), den schwarzen Löchern, dem endlichen, aber unbegrenzten gekrümmten Raum eine Vorstellung zuzuordnen. Anschaulich sind die Meßergebnisse, die mathematischen Konstrukte und astrophysikalischen Modellbildungen, denen aber keine Vorstellung zu entsprechen vermag. Auch die binäre Operation von Rechnern ist jederzeit der Anschauung zugänglich, aber nicht in adäquate Vorstellungen zu überführen. Wer das dennoch versucht - und unsere natürliche Disposition verführt uns alle von Zeit zu Zeit dazu -, fällt in die Naivität sprachlicher Operationen zurück, die ihn im Extremfall zu fundamentalistischer Begriffsgläubigkeit zwingt oder in die Bewußtseinsspaltung des psychiatrisch defizienten Typs.

Um das zu verhindern, führte die jüdische Theologie das Bilderverbot ein und die modernen Wissenschaften das Vorstellungsverbot (so Carnap 1927). Nur unter strikter Einhaltung dieser Vorstellungsverbote bei ebenso strikter Orientierung an der Anschauung von Zeichen und Wundern konnte und kann es jemand wagen, Astro- oder Kleinteilchenphysik, resp. Theologie oder die Künste zu betreiben.

Man kann auch sagen: Ohne ästhetisches Kalkül mit der Differenz von Anschauung und Vorstellung bzw. ohne den platonischen Chorismos zwischen anschaulich konkreter Welt und dem Reich der Ideen, ohne die Erfahrung prinzipieller Uneinholbarkeit von Bewußtsein in Kommunikation werden alle Aussagen über die Welt zu beliebigen Metaphern oder Bildern, zu Gleichnissen oder willkürlichen Analogien.

Genau für diesen Sachverhalt steht das platonische Höhlengleichnis, sobald man sich dazu verführen läßt, in ihm ein Beispiel für die Einheit von Anschauung und Vorstellung zu sehen, deren Erzwingung Platon gerade abwehren wollte. Methexis, also Teilnahme oder Anschluß der Erscheinungen an die Ideen, der Kommunikation ans Bewußtsein über sprachliche Operationen, ist nicht der Erkenntnis zugänglich, sondern nur als theoretisches Konstrukt postulierbar. Der moderne Ausweg aus diesem Dilemma heißt, Erkenntnisfragen bleiben auf den Umgang mit selbst produzierten Sätzen und Bildern, Modellen und Theorien beschränkt. Die radikalste Ausformulierung dafür bietet der Konstruktivismus mit dem hypothetischen Konstrukt autopoietischer Systeme - eben um den Preis, daß Erkenntnis und Wirklichkeitserfahrung, also Anschauung und Vorstellung nicht mehr zu vereinheitlichen sind. Als Wirklichkeit manifestiert sich die Welt gerade in dem, was wir nicht erkennen und durch die Operationen der Systeme nicht anschließen oder nicht aneignen können. Oder Luhmännisch gesprochen: In den Graden zunehmender Veranschaulichung wird die Wirklichkeit unsichtbar. Die Formen des Anschaulichen, Sichtbaren wandeln sich durch Variationen, Metaphorisierung, Analogiebildung etc., aber die Unsichtbarkeit, d.h. die Unvorstellbarkeit bleibt prinzipiell erhalten.

Kann man dem Sachverhalt anders als mit den Verfahren der philosophischen Ontologie entsprechen, denn es fällt ja nicht schwer, auch den radikalen Konstruktivismus ontologisch zu begründen? Schon Schopenhauer hat das demonstriert, und die Anfälligkeit moderner Naturwissenschaftler (wie jüngst Murray Gell-Mann oder Frank J. Tipler), ihre Kosmologien mit den herkömmlichen philosophischen und theologischen Welterklärungen kompatibel zu machen, belegt das ebenfalls. Einen Weg zeigen offenbar Künstler, wie sie Michael Fehr und Clemens Krümmel unter dem Titel »Platons Höhle« 1993 im Hagener Osthausmuseum zusammengeführt haben. (...)

Aus: Bazon Brock: Von Höhlenschatten zu neuronalen Höhlenzeichen. Eine verkürzte Perspektive. In: Michael Fehr u.a. (Hg.): Platons Höhle. Das Museum und die elektronischen Medien. Köln 1995, S. 21-24.

Knapp 20 Jahre nach der oben angesprochenen Ausstellung „Platons Höhle“ will uns Mischa Kuball zu einem souveränen Blick auf alle künstlerischen Projekte verführen, die das Platonische Höhlengleichnis ins Bild zu setzen versprechen. Souverän kann nur das Eingeständnis des Scheiterns sein, das aber nicht wie in der Alltagssprache Vergeblichkeit signalisiert, sondern wie im wissenschaftlichen Gebrauch des Begriffs Falsifikation meint. Als Widerlegung einer Aussagenbehauptung ist wissenschaftliches Arbeiten nicht vergeblich, sondern eben grundlegend für Urteilsbildung.

Das Arrangement der Kuballschen Arbeit in der Zusammenstellung der verschiedensten Wirkungsansprüche von Medien manifestiert die Souveränität des Künstlers, weil er es wagt, seiner Bearbeitung der Darstellung des Undarstellbaren, der Vorstellung des Unvorstellbaren und des Denkens des Undenkbaren die Form einer Karikatur oder Parodie zu geben. Es ist bisher noch nie einem Künstler hoch angerechnet worden, wenn er die Karikierung als Mittel einsetzt und nicht als Bildtyp erfüllen will. Umgekehrt sind Karikaturisten – selbst solche vom Format eines Grandville – als bildende Künstler nicht ernst genommen worden. Um Karikieren als Verfahren von der Karikatur als Gestaltungsresultat zu unterscheiden, fasst man mit dem Hinweis auf Romantische Ironie oder kabarettistische Ironie oder dialektische Ironie das Verhältnis von Mittel und Zweck als reflexive Form. Karikieren heißt in diesem Sinne also nicht eine Karikatur herstellen, sondern die Selbstbezüglichkeit von Aussagen in ihren medialen Repräsentationen herauszustellen. Dafür aus dem Fundus unserer Beispiele das populärste:
Reflexivität meint Selbstbezüglichkeit, also ein Urteil oder eine Kennung oder ein Prozedere auf den zurückzubeziehen, der sie äußert. Soweit ich dem Urteil folge, meine Jacke sei schmutzig und ich müsse sie sauber bürsten, stelle ich nach mehrmaligem Vorgehen dieser Art fest, dass das Kleidungsstück zwar sauber, dafür aber die Bürste dreckig ist. Der reflexiven Logik entsprechend, muss ich das Verfahren des Bürstens nun auf die benutzte Bürste anwenden. Wenn ich mit einer zweiten Bürste erstere bürste, erweist sich das Prinzip der Selbstbezüglichkeit als höchst leistungsfähig: Beide Bürsten sind sauber.
Solche Reflexivität demonstriert Kuball im Abbilden von Bildern, die ihrerseits als Bilder abgebildet werden, woraus sich eine Aufhebung herkömmlicher Unterscheidung der Abbildung des Außerbildlichen und des Bildes selbst ergibt. Nur im Bild lässt sich also die Differenz von Abbildung und Abgebildetem, von Bezeichnetem und Bezeichnendem, erzeugen. Die Einheit über der Differenz ist das Bild oder das Zeichen selbst. Die Differenz besteht nicht zwischen Bild/Zeichen einerseits und außerbildlichen Gegebenheiten andererseits. Das Vorbild liegt also nicht vor dem Bild, sondern wird als Bestandteil aus ihm entwickelt. Vorbildlich ist die Leistung der Zeichengebung und nicht das, worauf sich die Zeichen angeblich beziehen sollen – als gäbe es für uns eine Welt, bevor wir sie wahrnehmen und zeichenhaft markieren.

Daraus ergibt sich im Aufbau der Kuballschen Anordnung dann die Demonstration, die Platonische Höhle sei ein einheitliches Zeichengefüge über der Differenz von Idee/Konzept und der Dinglichkeit des Zeichens in der physischen Welt. Das Zeichen mitsamt seinem Träger, der Physis, erzeugt die Metaphysis durch besagte Differenzierung im Zeichen selbst. Physik und Metaphysik sind, so heißt es seit Bohrs Zeiten, einander komplementär und nicht einander entgegengesetzt oder sonstwie entzweit.

Die Verschiedenheit der Medien kennzeichnet die unterschiedliche Art und Weise, in der jeweils innerhalb der medialen Zeichengebung die semantische, die syntaktische und die pragmatische Dimension ein und desselben Zeichengefüges ausgewiesen werden kann.

Alle Bestandteile der Kuballschen Installation wie Folienwand, Projektionen, Lichtquellen, Videoreproduktionen, Photos bilden eine Simulation für das Verhältnis von Virtualität und Realität, von Potentialität und Aktualität, Vereinzelung und Reintegration in das weiterlaufende Bildereignis, von Fixierung im Photostill und Verflüssigung im Video, von Slow Motion und Zeitraffer.

In die Installation eingreifende Akteure, als Zufallspublikum, können sehr leicht an den von ihnen selber veränderten Ereigniskaskaden die faszinierende Herausforderung erfahren, das Geschehen in den Rückkoppelungsschleifen niemals als Ganzes erfassen zu können, obwohl ihnen doch die beschränkte Zahl der eingesetzten Medien jederzeit vor Augen steht.

Das entspricht der Erfahrung, die in Mythen und Märchen als Verlust des eigenen Schattens gefürchtet wird. Denn, was keinen Schatten wirft oder keine Geruchsaura oder andere sinnlich fassbare Spuren von Existenz hinterlässt, verweist auf das Unheimliche, Gespenstische, Phantasmagorische. Es ist beachtlich, dass unser zeitgenössisches Verständnis dieser Schattenlosigkeit oder Spurenlosigkeit in der Black Box verkörpert wird. Bildlich gesprochen, ist der Mensch in der mondlosen Nacht nicht gern alleine, weil er seiner Existenzzeichen beraubt ist und sich durch die Zuwendung Dritter seiner Lebenskraft vergewissern lassen muss. Kuball öffnet die Black Box zur Mondnacht, in der auch die realen Objekte mit ihren Schatten verschmelzen und so gespenstisch werden. Der Angst vor dem Gespenstischen hat jüngst der amerikanische Künstler Mike Kelley eine große Untersuchung unter dem Titel „The Uncanny“ gewidmet. Der märchenhaften, mythischen, auch Platonischen Vergespensterung gab Andy Warhol in seiner bedeutendsten Form der Selbstdarstellung Ausdruck: Er bat seinen Freund Gerard Malanga im New Yorker Central Park an einem Hölderlinesken Sommersonntagmorgen mit den beiden Warholschen Hunden Fame und Fortune spazieren zu gehen; er, Warhol, wolle dann dem Trio entgegenschreiten. Sollten die Hunde in dem Augenblick der Passage nicht auf ihren Herrn reagieren, so wäre damit der Beweis der Vergeistigung Warhols erbracht, also dass Warhol bereits zum Platonischen Körper, zum Gespenst seiner selbst oder zur bloßen Idee einer Künstlerexistenz aufgestiegen sei.

Kuball bietet den Besuchern seiner Installation die Simulation einer solchen Selbstübersteigung ins bloß Konzeptuelle der eigenen Existenz. Die experimentelle Erweiterung der Biografieentwürfe im Wechselspiel der Schatten und der Schatten von Schatten evoziert zunächst eine Erinnerung an kindheitliche Jahrmarktsbesuche. Dort erfuhr man angesichts der schnell fluktuierenden Spiegelbilder des eigenen Körpers in extrem konvexen oder konkaven Spiegeln Formtransformationen aus dem Vertrauten in die Bizarrerie, aus der Bestimmtheit in die Unbestimmtheit. Die Formlosigkeit kennzeichnet die Macht der Schatten durch die fehlende Binnendifferenzierung. Der Schatten zeichnet eine Ganzheit ohne Teile – wie ein Leben ohne Erinnerung. Das Identifizieren der Schatten durch versuchsweise Auflösung in Einzelwahrnehmungen entspricht dem Appell, man müsse sein Leben ändern, indem man Erinnerungen kontinuierlich umzeichnet. Am Ende ist jede Biografie, wenn sie den auratischen Schatten der Lebensdaten auf dem Grabstein übersteigen soll, in dem Maße beispielhaft, wie sie das jeweils gelebte Leben in das Geflecht der alternativen Möglichkeiten einfügt, die sich einem Leben eröffnen. Die Binnendifferenzierung der Schatten gelingt, wenn man in fortgeführten Erzählungen das potentielle alternative Leben entfaltet. Daraus erwächst bei Kuball für den Akteur in der Installation der Impuls, die visuelle Gestaltgebung des Möglichen im Reich der Schatten mit der literarischen Erzählung seiner Bewegung in diesem Reich zu verknüpfen. Dafür haben wir vor Jahrzehnten mit Bezug auf das Werk von Werner Nekes den Begriff der „Lighterature“/„Lichteratur“ gebildet. Die Lichtschrift im Spiel der Schatten ist der Literatur als Spiel der Schriftzeichen vergleichbar. Auch viele technische Verfahren sind direkte Manifeste von Lichtschrift wie etwa die Heliographie oder die Photographie.

In den literarischen Formen werden Lichtmetaphoriken entfaltet wie die des Einsehens, des Erhellens, des Aufklärens und des Durchschauens. Andererseits formen sie die Vorstellung des Reichs der Schatten und der heimatlosen, weil körperlosen, Seelen. Politische Konzepte setzen auf die Analogien von Zentralstaatlichkeit und Zentralgestirn unseres Sonnensystems oder aber auf das Schattenreich des Bösen: auf die Dunkelziffer der nachtaktiven Illegalen, also der gespenstischen Verbrecher, der teuflischen Dämonen der Unterwelt. Die theologische Formulierung der „Lighterature“ gipfelt im christlichen Glauben in der Erkenntnis: Licht ist der Schatten Gottes. Damit ist der Leistung genüge getan, etwa das Unvorstellbare als tatsächlich Unvorstellbares vorzustellen. Besser kann man nicht sagen, was die Strahlkraft des Göttlichen auszeichnet.

Die politsche „Lighterature“ erfüllt sich in der Aufklärerforderung nach der Gleichheit der Vielen, die ein Ganzes bilden müssen, nicht in der per se unmöglichen Gewährung von gleicher Begabung, gleicher Gesundheit, gleichem Vermögen, gleicher Ausbildung etc.; die einzig gegebene Gleichheit der so unterschiedlichen Menschen ist das allen gemeinsame Nichtwissen, Nichtkönnen und Nichthaben (die sogenannten weißen Schatten). Was früher als Sokratische Tugend geschätzt wurde, ist heute hartes Schicksal der aufgeklärten Menschheit. Denn gerade durch erfolgreiche Wissenschaft wird unser Nichtwissen über die Welt nur immer größer.

Nicht ohne Grund hat man häufig den Eindruck, in der politischen Arena einem Verwirrspiel beizuwohnen. Zum einen sucht man vergeblich nach dem Verursacher der langen Schatten, die sich auf Wirtschaft und Bildung legen: Schatten ohne Körper; Meinungen, Klassifikationen oder Urteile ohne zurechenbare Verantwortliche. Andererseits irritieren den Bürger leere Schemen des Realen ohne jede Bedeutung, ohne jeden Schatten. Das unwiderlegbare Wissen um die Endlichkeit aller politischen und sozialen Konstrukte lässt ohnehin den Eindruck entstehen, man habe es in den besagten Handlungsfeldern mit unterweltlichen Dunkelmännern und mit unwirklichen Beziehungsverhältnissen zu tun.

Wenn aber on the long run ohnehin alles seinem Ende zustrebt, muss man sich nicht wundern, dass alle politischen Entscheidungen so kurzsichtig ausfallen. Ich stelle mir vor, Kuball habe das Anschauungsmodell der Platonischen Höhle dadurch seiner falschen Suggestivität berauben wollen, dass er den mit dem Rücken zum Höhleneingang sitzenden, gefesselten Menschen Bewegungsfreiheit verschafft hat. Die bei Platon nicht vorgesehene Bewegung in der Höhle bietet dann Dantes Erzählung seines Wegs durch die Unterwelt an der Hand des Seelenführers Vergil. Die Schreckensversion dieses vergeblichen Wegs hat sich in den heutigen Dark room-Erlebnissen erhalten. Die hoffnungsvolle Version erhalten die Himmelsfahrer in ihren Raumkapseln aufrecht, deren Außenweltbeziehung ausschließlich durch innersystemische Zeichengebung möglich ist. Wer die Kuballsche Installation betritt, hat keine Wahl zwischen beiden Versionen. Er kann sie nur als Optionen für sein eigenes Leben in der zukünftigen Erinnerung verstehen. Und zwar in der Selbstverpflichtung: Lebe so, dass du später den Eindruck glaubhaft vermitteln kannst, du hättest Optionen alternativen Lebens gehabt.