Eine Essenz

Nur die Demonstration der völligen Ohnmacht der Kunst und des Künstlers und das Eingeständnis ihres Scheiterns nötigt zum Respekt, erzieht den ernsthaften Helden der Moderne, den Rezipienten, den Zuschauer, Museumsbesucher und Kunstfreund, der weiß, daß alles nur darauf ankommt zu klären, wie Weichheit als Härte, wie Wahrnehmen als Produzieren, wie Erscheinung als Wesen, wie Verpackung als Inhalt, wie Oberfläche als Tiefe, wie Sprache als Gedanke, wie Verhalten als Handlung zum Sieg des Vietkong über die USA, zum Sieg des Fragments über das System, zum Sieg des Künstlers über das Werk, zum Sieg der Freiheit über die Notwendigkeit, zum Sieg des Nachgebens über das Widerstehen, zum Sieg der Behauptung über den Beweis führt. Sieg ist überhaupt für den Künstler nur das Pathos des Scheiterns. Haben deswegen einige der wichtigsten heutigen Künstlerpersönlichkeiten eine gewisse Affinität zum Faschismus? Jeder Mensch, der sich ernst nimmt in dem, was ihn selber antreibt oder lockt, hat in sich als Künstler (auf der Bühne oder im Zuschauerraum) latent faschistische Züge. Denn der Faschismus ist im Politischen und Gesellschaftlichen, was die Moderne im Künstlerischen zu sein versprach: zeit- und geschichtslose Dauer reiner Form und Konzepte; ein Ende dem ewig bloß relativen Hin und Her von Urteil und Gegenurteil; Schluß mit dem endlosen Disputieren um Fragen des Geschmacks; Durchsetzung von Verbindlichkeit auf Leben und Tod; eine gemeinsame Verpflichtung unter das Bedingungslose.
Quelle

Von Paulus zum Saulus – Abschnitt in:

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Robert Musil, gesammelte Werke, Band 7 mit einem Essay von Bazon Brock

Buch · Erschienen: 1979 · Autor: Musil, Robert · Herausgeber: Frisé, Adolf

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