Eine Essenz

Das heißt, die ungeheure Anstrengung der Künstler und Wissenschaftler durch Problematisierung etwas völlig Unfassbares, Neues, Qualitätsloses herzustellen, ist das Movens der Moderne. Warum? Warum ist das sinnvoll? Weil es nur eine Möglichkeit gibt, es gibt eigentlich drei: Es gibt drei Möglichkeiten sich auf diese Zumutung des Neuen einzulassen: a) Ikonoklasmus – man haut es kaputt, das hat es ja immer wieder gegeben; b) Man leugnet es – wie unser Hund: wenn wir dem etwas Undefinierbares in seinen [Käfig] stellen, macht er so: Hab ich gar nicht gesehen. Erst versucht er daran zu rütteln, um zu sehen: Na, kann ich da manipulieren? – Nein. Dann schließlich tut er so, als ob das gar nicht vorhanden wäre. Leugnen, das war die große Entdeckung von Freud, systematisiert von seiner Tochter Anna [in den verschiedenen Strategien] in den berühmten sieben Strategien. Oder [c)], das ist jetzt das Entscheidende, einen Erfolg versprechenden Gebrauch von dem absolut Unbekannten, Inhaltslosen, Leeren, Unverfügbaren – das ist Adornos Zugang […] –, von dem Inkommensurablen zu machen, von dem Apokryphen zu machen. Nämlich, die einfach logische Operation zu vollziehen, dass vom Neuen in diesem Sinne ja nur zu sprechen ist im Hinblick auf das Alte. Denn, wenn das Neue keine Bestimmung hat, lässt sie sich nur durch die Denknotwendigkeit seiner grundsätzlichen Begründung, nämlich durch das Alte thematisieren. Also ist das Neue nur durch die Beziehung dieser Zumutung auf das Alte thematisierbar. Das heißt, das Neue wird nur in Form der Bildung neuer Traditionen sichtbar. Mit anderen Worten, die Orientierung auf das absolut Neue als das absolut Inhaltslose oder produktiv Indifferente ist die Wiedergewinnung der Tradition. Sodass die absolute Avantgarde der Modernen, das heißt die Speerspitze der Orientierung der Modernen, darin besteht, Traditionen zu sichern – das Gegenteil von dem, was alle behaupten.
Quelle

Gefährliche Unterscheidung zwischen theoretisch und praktisch: – Abschnitt in:

Vortrag / Rede

Tagung „Moderne und Historizität“

Vortrag / Rede · Termin: 11.02.2009, 20:00 Uhr · Veranstaltungsort: Weimar, Deutschland · Veranstalter: Klassik Stiftung Weimar

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